von Anne-Katrin Loßnitzer
Im Zeitraum Oktober 2001 - September 2002 durfte ich bei der OJC, genauer gesagt auf Schloss Reichenberg mitleben. Im Rückblick betrachtet war das eines der wichtigsten Jahre meines bisherigen Lebens, für das ich sehr dankbar bin. Obwohl ich immer auf der Suche nach Gott und in der Auseinandersetzung mit meinem Gottesbild und mir selbst war, spielte sich bei mir in der ersten Hälfte meiner OJC-Zeit in Sachen Glauben nicht viel ab - ich fühlte, hörte, empfand und verstand sehr wenig.¨Ein Lichtblick war nach Monaten die Entdeckung eines Verses aus dem Römerbrief: "Weil Gott die Welt geschaffen hat, können die Menschen sein unsichtbares Wesen, seine ewige Macht und göttliche Majestät mit ihrem Verstand an seinen Schöpfungswerken wahrnehmen" (Römer 1, 20).¨Die Passage "mit ihrem Verstand" war für mich die Erlaubnis, Gott auch auf diesem Weg zu suchen und ihn in der Schöpfung unter Zuhilfenahme aller meiner Sinne wahrzunehmen. Das kam mir als einem "Kopf-Menschen" sehr entgegen. ¨Dass uns Gott abholt, wo wir stehen, wird mir seitdem besonders in seiner herrlichen Natur bewusst. Als ich einmal am Feldrand saß, kamen ständig irgendwelche Tierchen angeflogen, landeten auf mir und bekrabbelten mich. Das mochte in so einer Umgebung normal sein, aber ich verstand es so, dass Gott mich mit seiner Liebe bestürmen will, und zwar auf eine Weise, die bei mir ankommt und die trotz meiner eher rationalen Art, Gott und Glauben zu erfassen, bis zum Herzen dringt. Das hat mich berührt und mir Hoffnung gemacht.¨Bis heute halte ich mich sehr gern in der Natur auf, einem Raum, der mich öffnet und in dem ich Zugang zu Gott und vor allem er zu mir finden kann.
Im ersten Halbjahr meiner OJC-Zeit war ich für die Pflege und Dekoration der Gemeinschafträume und Gästezimmer auf dem Schloss verantwortlich. Das bedeutete in erster Linie Raumpflege, wobei die Gestaltung des Blumenschmucks das Highlight oder I-Tüpfelchen war. Putzen war für mich bis dahin sehr negativ besetzt. Dass ich ausgerechnet diesem Arbeitsbereich zugeteilt wurde, schmeckte mir überhaupt nicht. Ich kam mir vor wie eine Putzfrau, die ständig Dinge unter ihrer Würde tun muss. Das hat mich ziemlich frustriert und zu allem Übel habe ich mich darin auch selbst abgewertet. Ein kurzes Gespräch mit einer Mitarbeiterin über meine Arbeit während einer meiner täglichen "Putzolympiaden" brachte Licht in meine negative Stimmung. Sie meinte, ich sei hier nicht Putzfrau, sondern Hausfrau. Hausfrau - die Frau des Hauses - diesen Ausdruck konnte ich plötzlich wertfrei hören. Als ich diesen schönen Moment in meinem Stille-Zeit-Buch festhalten wollte, passierte mir ein klitzekleiner Fehler, ich verschreib mich. Statt wertfrei fand ich wertfrau auf meinem Blatt wieder. Ich musste schmunzeln und assoziierte wertvolle Frau. Nach und nach wurde mir klar, dass ich und jede Hausfrau wertvolle Frauen sind, die einen wichtigen Beitrag in die Gemeinschaft (sei es eine Kommunität oder ein ganz normaler Haushalt) einzubringen haben, nämlich dafür Sorge zu tragen, dass die dort lebenden Menschen und Gäste die vorhandenen Räume mit Freude betreten und sich gern in ihnen aufhalten. Auch wenn ich Putzen gegenwärtig immer noch nicht als meine Lieblingsbeschäftigung bezeichnen würde, empfinde ich bei diesen Tätigkeiten doch viel mehr Gelassenheit und habe weniger negative Gefühle für mich selbst. Ich bin entspannter dabei, weil ich weiß, dass es einer guten Sache dient. Manchmal hilft mir die Erinnerung an den Ausspruch des Hausvaters, der, als ich ihm mal wieder meine Unlust über das Putzen klagte, erwiderte: "Meine Schwester, dann tust du es halt ohne Lust". Ja, es muss nicht immer lustvoll sein, was ich tue. Ich freue mich über die Entdeckung, dass ich mich auch in gepflegten Räumen meiner Wohnung viel wohler fühle. Und das gönne ich auch meinen Gästen.
Ich brauche lange, um mich selbst und meine Gefühle wahrzunehmen. Das ist vor allem in zwischenmenschlichen Beziehungen zuweilen anstrengend. Gott sei Dank kann ich diese Seite meines Seins inzwischen besser annehmen, setze ich mich dafür weniger selbst unter Druck. Wie gut, dass wir manchmal in Situationen gestellt werden, durch die wir Realitäten des Lebens besser verstehen. Folgende kleine Begebenheit war während des internationalen Baucamps sehr hilfreich für mich: ¨Zwei Teilnehmer hatten gewettet, wer schneller darin ist, eine halbe Melone zu verspeisen. Meiner Vorstellung nach musste das sehr zügig vonstatten gehen und ich erwartete ein hektisches Treiben. Als ich dazu kam, war ich überrascht. Ich fand zwei Leute vor, die in aller Seelenruhe dabei waren, ihre Melonenhälften zu verspeisen. Zu diesem Zeitpunkt war ich traurig und innerlich aufgelöst, weil ich gerade eine Absage auf die Bewerbung für eine Stelle erhalten hatte. Ich hatte sie mir gewünscht und mich intensiv mit ihr auseinander gesetzt. Entschlossen legte ich den Brief zur Seite, um mich zum "Melonenwettbewerb" zu begeben, denn ich dachte: "Dort geschieht das Leben, das willst du nicht verpassen". Durch die vorgefundene Ruhe und Beschaulichkeit hatte ich den Eindruck, als würde jemand zu mir sagen: "Anne-Katrin, lass dir Zeit, mach langsam, du darfst traurig sein." Das tat mir sehr gut und half, mir am nächsten Tag wirklich Zeit zu lassen, um mich von einer guten Stelle auch innerlich zu verabschieden, bevor ich mich neu auf die Zukunft ausrichtete. Während meiner Zeit in der OJC habe ich eine Form der Entspannung kennengelernt, für die ich sehr dankbar bin. Die langsamen Bewegungen des Shibashi, einer chinesischen Meditation in Bewegung, bei der vor allem Bilder aus der Natur mit dem Körper nachgezeichnet werden, erinnern mich daran, dass Langsamkeit keine Schande ist.