Dekan Andreas Geister ist Pfarrer in Ermatingen (Schweiz) und seit vielen Jahren ein treuer Freund der Offensive. Folgende, eher ungewöhnliche Weihnachtspredigt zu Offenbarung 22,1-6 hielt er an Heilig Abend 2003 in Ermatingen.
Die Größe eines Stromes wird nicht an seiner Quelle sichtbar, sondern erst an seiner Mündung. Weihnachten, die Geburt Jesu, ist die Quelle.
Hier beginnt etwas Neues in die Welt hinein zu sprudeln. Es fängt ganz klein an, in einem Stall, in einer Krippe, in einem Kind – aber es bleibt nicht klein. Es wächst heran, so wie der Bub Jesus heranwächst. Es wächst heran zu einem breiten Strom, zu einer Bewegung, die nach und nach die ganze Welt hineinnimmt in diesen Gnadenstrom von oben.
Die Größe eines Flusses wird nicht an seiner Quelle sichtbar, sondern erst an seiner Mündung. Wenn wir die Bibel ganz hinten aufschlagen, im letzten Buch, der Offenbarung, dann lesen wir dort: Und er zeigte mir einen Strom: das Wasser des Lebens, klar wie Kristall, der ausgeht von dem Thron Gottes und des Lammes. Auf beiden Seiten des Stromes – hüben und drüben – Bäume des Lebens. Zwölfmal tragen sie Früchte, jeden Monat einmal. Und die Blätter der Bäume dienen zur Heilung der Völker. Es wird nichts mehr geben, was der Fluch Gottes trifft. Der Thron Gottes und des Lammes wird in der Stadt stehen und seine Knechte werden ihm dienen. Sie werden sein Angesicht schauen und sein Name ist auf ihre Stirn geschrieben. Es wird keine Nacht mehr geben, und sie brauchen weder das Licht einer Lampe noch das Licht der Sonne. Denn der Herr, ihr Gott, wird sie erleuchten, und sie werden regieren von Ewigkeit zu Ewigkeit. Und der Engel sagte zu mir: Diese Worte sind zuverlässig und wahr. Gott der Herr hat seinen Engel gesandt, um seinen Knechten zu zeigen, was bald geschehen muß. (Offb 22,1-6)
Auch wir brauchen bisweilen einen Engel – so wie Johannes hier in der Offenbarung. Einen Engel, der uns die Augen auftut für das Unsichtbare, für das Geheimnis Gottes, für das, was Gott mit dem Kind in der Krippe auf den Weg gebracht hat und wohin das führt, an welches Ziel Jesus die Welt – und damit auch uns – bringt. Geöffnete Augen für das Geheimnis Gottes, das in Jesus zur Welt kommt. Johannes durfte damals mit Hilfe des göttlichen Boten etwas sehen, einen Blick tun in die unsichtbare Welt: Und er zeigte mir einen Strom, das Wasser des Lebens, klar wie Kristall, er geht aus vom Thron Gottes und des Lammes.
Ich erinnere mich an die kleinen Bäche in den Bündner Bergen, die sich über die Almen ins Tal hinunter schlängeln. Von welcher kristallenen Klarheit das Wasser dort ist! Man sieht jeden Kiesel, jedes Sandkorn, man sieht bis zum Grund. Wir lesen in der Weihnachtsgeschichte über die Hirten auf dem Feld: ...und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie.
Es gibt diese Momente im Leben, in denen alles plötzlich glasklar ist. Wenn sich der Nebel lichtet und die klare Sonne durchdringt. Wenn von Gott her die einfache, die reine, die lautere Wahrheit hineinströmt in unser Durcheinander. Und alles klärt sich und wird wahrhaftig und klar. Auch, wer wir selber sind, wird unausweichlich klar. Und wer Gott ist, wird klar. Klar wie Kristall strömt das Wasser des Lebens, unaufhaltsam von der Quelle bis zur Mündung. Von der Heiligen Nacht bis zum Jüngsten Tag.
Es strömt und strömt und strömt... durch all die Jahrhunderte hindurch; durch alle Länder und Völker und Rassen. Der Gott der Bibel ist ein überfließender Gott. Von ihm her fließt der Welt - und damit auch uns - unaufhörlich Gnade, Vergebung und Hoffnung zu. Und das trägt Früchte!
Die Bäume des Lebens, die an diesem Strom der Gnade wachsen, tragen zwölfmal Früchte – jeden Monat einmal. Früchte des Geistes werden sie in der Bibel genannt. Nicht Äpfel und Birnen, sondern Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Gütigkeit, Glaube, Sanftmut, Keuschheit. Das alles wächst als Früchte an den Bäumen des Lebens, die ihre Wurzeln zu dem Gnadenstrom hinstrecken und von ihm her leben. Und an diesen Früchten gesunden die Völker.
Das andere ist auch da in der Welt – und auch in uns. Das, was die Bibel als Früchte des Fleisches bezeichnet. Ich zähle sie jetzt nicht auf. Man muß nur die Zeitung aufschlagen, dann lesen wir genug davon: all das, woran die Völker und auch wir kranken. Die Blätter der Bäume dienen zur Heilung der Völker. Es wird nichts mehr geben, was der Fluch Gottes trifft. Nichts mehr, was das Nein Gottes hervorruft.
Die Größe eines Stromes wird nicht an seiner Quelle sichtbar, sondern erst an seiner Mündung. Es gibt ein wunderbares Wort Jesu, wo er sagt: Wen dürstet, der komme und trinke vom Wasser des Lebens. Dieser Lebensstrom, dieser wunderbare heilsame Gnadenstrom ist nicht zum Anschauen da, sondern zum Trinken. Er ist auch für uns da, möchte in uns hineinfließen und durch uns hindurchfließen, so daß unser Lebensbaum auch die guten Früchte trägt – mindestens zwölfmal – Monat für Monat – und daß seine Blätter uns auch heil machen: das Verwundete in uns, das Enttäuschte in uns, das Gedemütigte in uns, das Verkehrte in uns, das Verzagte in uns – darf und soll heil werden.
Christoph Blumhardt, ein begnadeter Seelsorger, konnte beim Abschied eines Gastes sagen: „Ich geb’ dir einen Engel mit...“. Engel öffnen uns die Augen für den, der über ihnen ist, der das Haupt aller Mächte und Gewalten ist, im Himmel und auf Erden. Für Ihn öffnen sie uns die Augen und für den Strom des Lebens, der von ihm ausgeht – von der Heiligen Nacht bis zum Jüngsten Tag. So wie die Ströme der Erde ins Meer fließen, so fließt Gottes Gnadenstrom schließlich ein in das kommende Gottesreich. Dort fließt alles zusammen, was Gott gewirkt hat in allen Völkern zu allen Zeiten und dann, so sagt die Bibel, ...wird Gott sein alles in allem.
„Ich geb’ dir einen Engel mit...“ – das sprechen wir einander in dieser Weihnacht zu. Möge ein Engel uns begleiten und uns die Augen auftun für das, was von Gott kommt und uns heilt, wo wir verwundet und verletzt sind. Amen.
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