von Hannah K.
Als Hannah nach ihrem Abitur beschloss, ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) bei der OJC zu machen, verzichtete sie bewusst und nicht nur leichten Herzens auf ein Stück ersehnter Unabhängigkeit und äußerer Selbstbestimmung. Was sie statt dessen gewann, beschreibt sie in folgendem Bericht.
Was willst du nach dem Abitur machen?", hatte mich meine Taufpatin gefragt. Auf meine Antwort, dass ich entweder ins Ausland gehen oder ein FSJ machen wolle, es mir aber in jedem Fall wichtig sei, frei zu sein, meinte sie: "Dann mach kein FSJ! Da bist du angestellt und kannst nicht einfach frei entscheiden, was du gerade machen möchtest."
Das hat mich nachdenklich gemacht. Als ich dann jedoch die OJC kennenlernte, war ich davon so begeistert, dass ich es in Kauf nahm, nicht die gewünschte Unabhängigkeit zu haben, sondern mich statt dessen auf ein Jahr voller unbekannter Herausforderungen einzulassen.
Von jetzt ab lebte ich mit drei anderen jungen Frauen in einer WG und arbeitete im Hausteam von Schloss Reichenberg. Mein zweites Arbeitsgebiet war das Institut.
Im ersten halben Jahr gab es kaum einen "Alltag". Jede Woche sah anders aus als die vorhergehende. Bei all der Abwechslung, den zahlreichen Eindrücken und tausend Themen, die auf mich einströmten, merkte ich gar nicht, wie sehr ich mich verausgabte.
Ich hatte viel Spaß mit den anderen und genoss das Leben, aber die Tage waren lang und die Nächte kurz. Ich wurde schnell krank und fühlte mich oft matt und erschöpft. Anfangs verstand ich nicht, woran das lag, denn die Arbeit strengte mich nicht übermäßig an.
Doch bald merkte ich, dass es die Beziehungen waren, die mir meine Kräfte raubten. Es ist klar, dass es zu Unstimmigkeiten kommt, wenn man auf so engem Raum zusammenlebt, wie wir das taten. Schon solche Kleinigkeiten wie die unterschiedlichen Ansichten über Einkauf und Aufbewahrung von Lebensmitteln trübten manchmal die Stimmung. Wenn es schwierig wurde, versuchten wir, einander aus dem Weg zu gehen, um die Harmonie nicht zu stören. Zeitweise entspannte das die Situation, aber auf Dauer musste eine andere Lösung her. Gespräche in der großen Runde und auch mit Einzelnen waren nötig. Das war anstrengend. Ich musste lernen zu sagen, was mir nicht passt, und mich trauen, Probleme anzusprechen und Konflikte auszutragen. Mir wurde auch bewusst, dass es richtig Arbeit ist, Beziehungen zu pflegen, immer wieder neu Gespräche zu führen oder einfach etwas gemeinsam zu unternehmen.
Das zweite, was mir viel Kraft raubte, war die Tatsache, dass ich begann, mich mit mir selbst auseinanderzusetzen. Das hatte ich ja gewollt, aber wie es dann aussah, überraschte mich doch. Die Erfahrung, hart an meine eigenen Grenzen zu stoßen, war dabei elementar. Körperlich, emotional und auf der Glaubensebene kam ich an Punkte, an denen meine Kraft einfach nicht mehr ausreichte. Eine ganze Zeit lang hatte ich viel mehr von mir erwartet, als ich leisten konnte. Ich wollte gerne mit den anderen lange aufbleiben und mich nicht ständig nur müde und kraftlos fühlen. Es war sehr hart für mich, dass ich nicht einmal mehr joggen gehen konnte, was mir sonst ein guter Ausgleich ist. An manchen Tagen brach ich bei der kleinsten Anforderung oder der Frage, wie es mir denn gehe, einfach in Tränen aus. Ich konnte gar nicht erklären, was los war und hatte Angst, dass meine Traurigkeit gar nicht mehr verschwinden würde.
Anfang November bekam ich von jemandem einen Bibelvers zugesprochen, der mich seitdem begleitet hat: Er gibt den Müden Kraft, und die Schwachen macht er stark. Selbst junge Leute werden kraftlos, die Stärksten erlahmen. Aber alle, die auf den Herrn vertrauen, bekommen immer wieder neue Kraft. (Jesaja 40,29)
Es tat mir sehr gut, Menschen an meiner Seite zu wissen, die in dieser Situation offene Ohren und ein weites Herz für mich hatten. Sie gaben mir das Gefühl: Du bist in Ordnung, so wie du bist. "Selbst junge Leute ermüden und werden kraftlos." Das ist normal und darf jetzt so sein.
Ich merkte, dass ich herausfinden muss, was ich eigentlich will, und dass ich "gelebt werde", wenn ich nicht endlich beginne, meine Zeit selbst zu gestalten. Das Gefühl, etwas zu verpassen, wenn ich mal nicht bei den anderen bin, war nach wie vor da, aber ich beschloss, mir trotzdem bewusst Zeit für Ruhe, Spaziergänge und zum Nachdenken zu nehmen. So viele Fragen kamen in mir auf: Wie möchte ich mein Leben gestalten? Wie möchte ich Beziehungen leben, was ist mir dabei wichtig? Warum schweigt Gott manchmal, bzw. warum höre ich ihn nicht?
Oft kam es mir vor, als hätte Gott keine Antworten für mich. Ich verstand das nicht und wusste nicht, wie ich ihm wieder näherkommen und woher ich neue Kraft bekommen sollte.
Da erwachte mein alter, tiefer Wunsch nach Freiheit und Unabhängigkeit. Es ging aber nicht mehr um die Freiheit zu reisen und unabhängig bestimmen zu können, sondern um eine innere Freiheit. Dabei wurde das "Loslassen" wichtig - Loslassen von meinem Zuhause, von meiner Familie, von manchen Freunden und von so manchem Anspruch an mich selbst.
Das war ein sehr schmerzhafter und langer Prozess, aber er war heilsam und sogar ermutigend.
Ich lernte, meinen eigenen Weg zu gehen, und entdeckte eine neue Art der Unabhängigkeit von Menschen und der Frage, was sie wohl von mir denken. Außerdem entdeckte ich, dass es möglich ist, gute Freundschaften verbindlich zu leben, ohne dabei die eigene Freiheit völlig aufzugeben. Letztlich ist es Gott, der mich freispricht und mir die innere Freiheit schenkt, nach der ich suche.
Um all das zu erkennen, musste ich wohl durch das Tal meiner Kraftlosigkeit gehen, die mir eine ganz neue Seite von mir selbst zeigte: Ich bin nicht perfekt und verstehe mich selbst oft nicht. Gleichzeitig konnte ich aber die Liebe der Menschen um mich herum spüren - wieviel mehr muss mich dann erst mein Vater im Himmel lieben! Ich begann zu ahnen, dass Gott auch in mein Herz ein eigenes, wunderbares Bild gepflanzt hat, das nur darauf wartet, sich entfalten zu dürfen. Ich beginne jetzt mein Studium und bin sicher, dass ich noch vieles entdecken werde.
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