Bibelstudie über Josua und Kaleb (4. Mose 13+14)
von Horst-Klaus Hofmann
Vor vielen Jahren hat die OJC eine große Keramik erworben, auf der die beiden Kundschafter Josua und Kaleb abgebildet sind, die nebst der großen, schweren Traube die gute Botschaft aus Kanaan zurückbringen: Das Land, das wir durchwandert haben, ist überaus schön. Wenn der Herr uns wohlgesinnt ist, dann schenkt er uns ein Land, in dem Milch und Honig fließen. Habt keine Angst - denn der Herr ist mit uns. (4. Mose 14,7+8)
Diese Geschichte drückt auch etwas vom Auftrag Gottes an die OJC aus: als Pioniere zu erkunden, unter welchen Bedingungen die nächste Generation aufwachsen wird - und dieser dann in ihrer Sprache das Evangelium zu bringen.
Wir beginnen mit dem Hintergrund des Bildes der zwei Männer mit der Traube. Die Goldfarbe erfüllt den ganzen Raum. Warum stehen die beiden Kundschafter nicht in einer blühenden Landschaft, sondern vor einem leuchtenden Goldgrund?
Jahrhundertelang war in allen Religionen sonnenklar: Gold weist auf die Gegenwart des Ewigen, auf die Nähe Gottes hin. Wenn später in der Heiligen Schrift die Frage auftaucht, warum nur Josua und Kaleb in das verheißene Land hineinkommen, dann lautet die Antwort: ... weil ein anderer Geist in ihnen ist (4. Mo 27,18). Gegen den Widerstand des ganzen Volkes hingen sie im Vertrauen an dem, was Gott ihnen zugesagt hatte. Den ersten Christen in der Bedrängnis wird im Hebräerbrief geschrieben: "Werft euer Vertrauen nicht weg. Gebt diesen Glaubensmut jetzt nicht auf! Er wird einmal reich belohnt werden." Im Urtext bedeutet der Begriff 'wegwerfen', dass Soldaten ihre Waffen niederlegen, nicht mehr weiterkämpfen. Darum folgt im Hebräerbrief der Satz vom "Dranbleiben": "Gebt jetzt nicht auf. Denn wenn ihr unbeirrt Gottes Willen tut, werdet ihr einmal erhalten, was er euch zugesagt hat." (Hebr 10,35+36). Alles wird in einem Menschenleben anders, wenn der Vorhang zur unsichtbaren Welt weggezogen und die Binde von den Augen genommen wird: Gott ist gegenwärtig. An diesem gegenwärtigen Herrn, an unserem offenen Herzen ihm gegenüber, entscheidet sich alle Zukunft. Der Goldgrund meint: Gott ist gegenwärtig.
Gottes Auftrag gilt: Bleib bei der Stange! Pack weiter mit an! Der gemeinsame Herr hat für jeden seiner Leute eine klare Platzanweisung und Berufung. Gott hat der OJC in der ersten Stunde des Aufbruchs eine Botschaft anvertraut, die es auszurichten galt: "... in unserer Welt die brennenden Probleme wirksam anpacken. Spaltung in Familien, Gruppen und Nationen, Ausbeutung von Gefühlen, Konflikten und Gütern. Hunger - Hass - Hoffnungslosigkeit." (Aus meiner Stillen Zeit vom 1.1.1968)
Der Auftrag der Kundschafter hat mich von der ersten Stunde an beeindruckt, denn die zwölf Kundschafter bekommen genaue Einzelaufträge, regelrechte Forschungsaufgaben; es geht um die genaue Erkundung des zukünftigen Lebensraumes. Da heißt es z.B.: Seht euch die Landschaft an, "wie sie ist". Erkundet die Wege im Südland, in der Wüste und auf dem Gebirge. Seht euch die Menschen an, die im Land wohnen. Wie ist die Bodenbeschaffenheit? Sind dort gute oder schlechte Anbaumöglichkeiten? Wie ist der Baum- und Pflanzenbestand? Bringt Früchte des Landes mit! Seid mutig und berichtet, was ihr gesehen habt (4. Mo 13,17ff).
Das Kundschafterbild zeigt zwei, die gemeinsam unterwegs sind. Mose hat seine Mitarbeiter immer zu zweit eingesetzt. Auch Jesus hat seine Jünger zwei und zwei ausgesandt (Mk 11,1). Wir in der Offensive haben das ernstgenommen und versucht, bei Einsätzen diese geistliche Regel der Zweierschaft durchzuhalten.
Die frühe Christenheit kannte das Motto: Ich halte, weil ich gehalten werde (teneo teneor): Die Mitarbeit im Volk Gottes, ob im Kindergottesdienst oder in der Synode, hat bewahrende Kraft. Weil es "die dunkle Stange" gibt, werden die Kundschafter zusammengehalten, sie können der Weisung Gottes folgen und das Zeichen der Hoffnung, die Traube, zu den anderen zurückbringen.
Auftrag, das kann ganz wörtlich heißen, einer gibt dem anderen etwas auf die Schulter und sagt: Ich brauche dich zum Tragen, bitte geh mit mir! Die Zwei können sich gegenseitig immer wieder an den Goldgrund erinnern: Gott ist dabei! Eugen Rosenstock-Huessy sagte: "Niemand glaubt immer. Wir brauchen einander, weil jeder von uns zeitweilig nicht glaubt."
Stellen wir uns einmal vor, einer der zwei würde die Stange fallen lassen und aus der Geschichte weglaufen: Es gäbe keine Fortsetzung des Auftrages, die Traube bliebe im Sand liegen. Ein Kundschafter allein wäre überfordert von der Last. Er hätte in der Gefahr keinen Weggefährten und keinen Augenzeugen an seiner Seite. Und damit richten wir unser Augenmerk auf die Augen der beiden: sie blicken nach oben.
Martin Buber sagt: "Ich habe erkannt, dass die Augen, so wichtig sie sind, nicht das Wichtigste am Menschen sind. Das Wichtigste ist, um was es den Augen zu tun ist, wenn sie schauen. Das aber bestimmen nicht die Augen." Sehen heißt bevorzugen. Unser Wirklichkeitsverständnis wird durch unsere selektive Wahrnehmung bestimmt. Ich sehe nur das, wofür ich eine Antenne, ein Raster habe. Schon Abt Johannes Cassianus (†435) lehrte: "Sehen ist eingeübtes Bevorzugen. Unsere Vorstellungen wirken wie ein Raster, mit dem wir auf das uns Entgegentretende reagieren. Weil Schauen zielgerichtetes und kulturell bedingtes Sehen ist, sehen wir nur das, was wir bevorzugen." Darum haben wir uns in der OJC auf die Herausforderung von Paulus in Römer 12 eingelassen: "Lasst euer Denken verändern." Das bedeutet, mit den Augen Jesu sehen zu lernen. Der große Schweizer Bibeltheologe Adolf Schlatter lehrte: "Das Evangelium von Jesus Christus ist die Sehschule Gottes." Die Bibel will uns helfen, Gottes unsichtbare Welt als tragende Wirklichkeit zu erkennen.
Von den unheimlichen Folgen des Misstrauens spricht Blaise Pascal: "Wo eure Redlichkeit aufhört, da sieht das Auge nichts mehr." Alle zwölf Kundschafter haben festgestellt, Kanaan sei wirklich das Land, in dem Milch und Honig fließen und herrliche Früchte gedeihen. Dann beurteilen aber zehn die Lage ganz anders als Josua und Kaleb: Wir vermögen nicht hinaufzuziehen gegen dieses Volk, denn sie sind uns zu stark. Wir können diese Leute nicht überwinden. Josua und Kaleb aber sagen: Wir können! Warum? Sie vertrauen: Der Herr ist mit uns.
Diese gegensätzliche Einschätzung beruht auf einem unterschiedlichen Wirklichkeitsraster: mit oder ohne Goldgrund. Die zehn vergleichen die großwüchsigen Landbesitzer, die Riesen, mit sich selbst. Die zwei vergleichen die Riesen mit Gott und damit schrumpfen diese auf ihre natürliche Größe. In der einen Sicht zählen nur die eigenen Möglichkeiten und dann kann jeder schnell das Fürchten lernen. In der anderen Sicht zählt die unsichtbare Gegenwart des Herrn, der Rückhalt in der Verheißung, der Goldgrund. Kühn im Glauben erklärte John Knox, der Reformator Schottlands: "Einer mit Gott ist immer in der Mehrheit."
Fragen wir uns: Welche Bezugspunkte bestimmen mein Denken? Beherrschen mich Vorstellungen, die aus dem Vertrauen oder aus der Angst kommen? Kämpfe ich mit einer Versuchung, der ich nicht widerstehen kann? Welche "Riesen" halten das Land meiner Zukunft besetzt?
Blicken wir nun auf die Hände. Was fällt da auf? Sie sind nicht zur Faust geballt, sie packen zu! "Die Hände, die zum Beten ruhn, die macht er stark zur Tat. Und was der Beter Hände tun, geschieht nach seinem Rat." (Friedrich von Bodelschwingh) Wenn uns einseitige Begeisterung packt, uns unnüchtern macht, dann ist es höchste Zeit, dass wir genauer hinsehen, die Hände falten und nüchtern zupacken.
Fragen wir uns: Wie sieht es mit meinem Leben in der Gegenwart Gottes aus? Wo ist mein Vertrauen? Wie steht es um meine Zuverlässigkeit und Treue in der Mitarbeit, in der Erfüllung von Aufträgen im Alltag?
Die Herrnhuter Brüdergemeine sang: "Wir woll´n uns gerne wagen, in unsern Tagen, der Ruhe abzusagen, die´s Tun vergisst. Wir wolln nach Arbeit fragen, wo welche ist. Nicht an dem Amt verzagen, uns fröhlich plagen und unsre Steine tragen aufs Baugerüst." Nikolaus Ludwig von Zinzendorf, der Dichter dieser Zeilen, nennt den Grund für die zupackende Bereitschaft: "Wir sehen schon von Weitem die Grad und Zeiten von unseren Seligkeiten. Nur treu, nur treu."
Halten wir fest: Die Hände - das meint einen Glauben, der in der Liebe tätig ist.
Die übergroße Traube ist der Erfahrungsbeweis, dass Gott sorgt, wo er führt. Er steht zu seinen Verheißungen. Die Traube zeugt davon, was die beiden Kundschafter entdeckt und erlebt haben. Auch die erste Gemeinde konnte sich mit ihrem Alltag wieder hineinstellen in diese fruchtbaren und gesegneten Lebensordnungen. Vier Kennzeichen wurden bei der ersten OJC-Konferenz am 20. April 1968 im Gottesdienst bei den Ev. Marienschwestern auf Kanaan als Orientierungspunkte für unseren kommenden Weg ausgerufen: "Sie blieben aber beständig in der Apostel Lehre, im Brotbrechen, in der Gemeinschaft und im Gebet" (Apg 2,42).
Eugen Rosenstock-Huessy formuliert dies als den Missionsauftrag der Christen aller Generationen, den Glauben der ersten Christen weiterzugeben: "Das ständige Weitergeben des Lebens der ersten Christen an neue Menschen macht das eigentliche Wunder des Christentums aus: Es ist Reproduktion ohne Erblichkeit." Die in der Gottesgegenwart Versammelten erleben die Befreiung und Aussendung als begnadigte Sünder, die Gott gebrauchen will. Seine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Sie ernten mitten in ihren alltäglichen Lebensbedingungen immer wieder Erstlingsfrüchte, entdecken überraschende Gottesgeschenke. Die Traube zeigt uns, dass die Früchte, die wir ernten, wirklich von Gott kommen, denn sie ist das Zeichen der Treue Gottes in der Schöpfung.
Weil Josua und Kaleb nach oben blicken, erleben sie etwas von der Herrlichkeit Gottes. An solches Erleben im Alltag, mit Bodenhaftung, wollen uns die nackten Füße erinnern. Sie waren stets Erkennungszeichen von Reformbewegungen in der Kirchengeschichte: die "Unbeschuhten" erkannte man am Aufbruch, am gemeinsamen Teilen und am einfacheren Lebensstil. Sie waren Reform-Gemeinschaften, unterwegs zu den Armen. Sie lebten eine missionarische "Geh-Struktur". Jahrhunderte zuvor, in der Zeit der Völkerwanderung, war es notwendig gewesen, die herumziehenden Menschen wieder zu beheimaten und einwurzeln zu lassen. So entstanden die Klöster. Damals, und das bleibt das große Verdienst von Benedikt von Nursia, kamen durch die Bindung an den einen Ort (stabilitas loci) die völkischen und geistlichen "Wanderdünen" zum Stehen. 1968 sagten wir in der OJC: "Wir müssen Strandhafer pflanzen in den Wanderdünen. Entweder wir deichen oder wir müssen weichen."
Die OJC blieb von Anfang an davor bewahrt, uniformiert zu werden. Weder in der Kleidung noch im Geist, weder in der Theologie noch in der politischen Auffassung. Kritische Fragen von Freunden und Gegnern halfen uns immer wieder, mit den Füßen auf den Boden zu kommen. Die nackten Füße zeigen: Wir sind und bleiben Zeitgenossen!
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