Ein Jahr ohne Glotze - geht das überhaupt?!
Daniel Krusemark, Johannes Gärtner und Daniel Pompe (genannt DJ), die ihr Freiwilliges Soziales Jahr im Jugendzentrum verbrachten und sich eine kleine Wohnung teilten, haben sich auf dieses Abenteuer eingelassen und überraschende Erfahrungen gemacht.
Daniel: Eigentlich ganz gut. Mir hat der Fernseher gar nicht so gefehlt.
Johannes: Ja, der hat gar nicht die Rolle gespielt. Mir fällt auf, dass viele Leute über das Fernsehprogramm schimpfen und meinen, dass da sowieso nur Schrott läuft und dann trotzdem gucken. Auch meine Eltern sagen, dass sie das eigentlich nicht gut finden und dann steht das Ding aber da und man guckt halt doch.
Joh: Ja, ich fand das eigentlich auch blöd, habe aber trotzdem geschaut.
Joh: Es ist so einfach und bequem. Man kann einfach nur dasitzen und sich berieseln lassen. Natürlich gibt es auch spannende und interessante Sendungen, aber hinterher habe ich mich oft geärgert, dass ich meine Zeit vertan habe.
DJ: Bei mir waren es hauptsächlich der Computer, später das Internet, die mich beschäftigt haben. Wenn ich mittags aus der Schule kam und kaputt war, hab ich mich auch vor den Fernseher gehängt, um mich zu entspannen, aber in den Computer habe ich richtig investiert. Mit 14 habe ich mir einen eigenen gekauft. Am Anfang habe ich damit vor allem gespielt, aber mir ging es immer auch darum zu verstehen, wie er aufgebaut ist und wie er funktioniert. In Spitzenzeiten habe ich rund vier Stunden am Tag damit verbracht, das war mein Hobby.
Joh: Zuerst schon, aber ich habe gemerkt, dass ich eher schlecht damit umgehen kann, dass ich an der Stelle ein Suchtpotential habe und mich schützen muss. Am Anfang des Jahres habe ich hier regelmäßig ein Online-Spiel gespielt. Dafür habe ich viel Zeit investiert und war auch richtig erfolgreich. Aber die Sache ist, je besser man wird, um so mehr Zeit investiert man. DJ und Daniel haben sich lustig gemacht, wenn ich abends immer ganz hippelig wurde und unbedingt wieder an den Computer musste, um weiterzuspielen. Irgendwann fiel mir auf, dass ich jetzt wieder eine ganze Stunde damit verbracht habe, irgendwelche virtuellen Dörfer aufzubauen und zu erobern - was mir doch im echten Leben überhaupt nichts bringt. Da habe ich entschieden, damit aufzuhören - und auf einmal hatte ich Zeit!
Joh: Meistens haben wir sie zusammen verbracht. Nach dem Abendessen saßen wir oft noch beieinander und haben uns einfach unterhalten und diskutiert, mal über tiefgründige Themen, mal über Nonsens. Das hat uns Spaß gemacht und dabei haben wir uns echt kennengelernt. Ich habe auch viele Bücher gelesen.
Daniel: Ich habe viel mit meiner Freundin telefoniert. Manchmal haben wir uns eine DVD geholt und zusammen auf dem Laptop geguckt, auch mal gemeinsam mit den Freiwiligen vom Schloss.
DJ: Seit ich hier bin, habe ich ein Abo der "Zeit". Die liest man ja weniger der Bilder wegen. Es ist zwar mehr Aufwand, das alles zu lesen, aber ich fand es qualitativ wertvoller und das hat sich dann gelohnt.
Daniel: Ja, auf jeden Fall. Ich lebe ja nun schon wieder zu Hause und merke, dass ich bewusster mit meiner Zeit und mit dem Fernsehen umgehe. Früher habe ich mich einfach vor den Fernseher gesetzt und geguckt, was zufällig gerade lief und hatte gar nicht das Problem, mir überlegen zu müssen, was ich mit meiner Zeit anfangen soll. Das war auch eine Frage, die bei uns in der WG irgendwann auftauchte: Ich habe Zeit und keinen Fernseher - jetzt muss ich mir ja erst mal Gedanken machen, was ich eigentlich gern mache.
Joh: Ich habe öfter gemerkt: Ich habe heute Abend Zeit und kann mir selber aussuchen, was ich mache, weil der Automatismus, mich einfach vor den Fernseher zu setzen, nicht da ist. Das war ein gutes Gefühl und es war qualitativ hochwertige Zeit, über die ich frei verfügen konnte.
Daniel: Man ist oft nicht auf dem aktuellsten Stand. Die meisten Nachrichten habe ich hier im Mittagsgebet erfahren: Flutkatastrophe, Hessische Landtagswahl, Erdbeben... Das war am Anfang echt komisch. Aber dann habe ich gemerkt, dass das auch sein Gutes hat, denn natürlich beschäftigen mich die Dinge, die ich da höre. Und ich habe für mich entschieden, mal für ein Jahr nicht die Sorgen der ganzen Welt auf mich zu nehmen, sondern mich mit dem zu beschäftigen, was für mich hier und jetzt dran ist.
DJ: Ein Nachteil war, dass die Beziehungen zu vielen Leuten aus meinem Freundeskreis gelitten haben. Ich war es gewöhnt, mit meinen Freunden zu chatten. Das ist so ein kurzer, unverbindlicher Austausch: Wie geht’s dir? Was steht für dich an? Das war hier nicht möglich und ich musste mich richtig entscheiden, Leute anzurufen oder ihnen eine E-Maail zu schreiben. Das ist irgendwie deutlich schwieriger, da bleiben viele Kontakte auf der Strecke, aber einige Beziehungen haben sich auch intensiviert. Es ist ja ein besonderes Gütezeichen, wenn man einen Brief schreibt oder sich bewusst Zeit für ein Telefonat nimmt.
Joh: Wir haben während der ersten Monate hier gar kein Fernsehen geguckt und dann hatten wir für kurze Zeit mal einen zur Verfügung. Das war ein richtiger Schock. Das fiel uns allen dreien auf und wir haben auch darüber geredet, warum wohl in einer Werbung vom Elektronikmarkt Saturn eine nackte Frau rumspringen muss?! Das war so ein richtiger Wachrüttler.
DJ: Ja, gerade bei der Werbung ist uns aufgefallen, wie sexualisiert alles ist. Da wurde mir noch mal deutlich, dass die Realität und das, was ich im Fernsehen sehe, gar nicht zusammenpassen. Vorher war mir das nie aufgefallen. In der Stadt war es irgendwie normal, täglich an 10 Plakatwänden vorbeizulaufen, von denen einen hübsche Frauen anschauen, obwohl es eigentlich darum geht, ein Auto zu kaufen. Das wurde zur Normalität in meinem Kopf, die ich wohl auch einfach abgeblockt habe. Aber hier in diesem Kuhdorf ohne Fernsehen und wenig Internet, wo man viel mehr mit normalen, echten Leuten zusammen ist, kommt man damit aus der Übung.
Daniel: Konstantin Mascher*, hat mal in einem Seminar gesagt, dass die zunehmende Sexualisierung in der Werbung so abläuft, als koche man einen Frosch. Man setzt den Frosch in einen Topf mit Wasser und erhöht nach und nach die Temperatur und der Frosch merkt gar nicht, dass er gekocht wird. Als ich dann an den Heimfahrwochenenden zuhause ferngesehen habe, ist mir aufgefallen, wie sehr sich die Werbung dahingehend verändert hat.
DJ: Ich wurde von meinen Eltern langsam und mit vielen Regeln herangeführt. Zuerst war eine halbe Stunde pro Woche erlaubt, dann zwei halbe Stunden. Ich konnte mir aussuchen, ob ich Fernsehen oder Computerspielen wollte. Später war ich dann freier, aber meine Eltern haben es mir gesagt, wenn sie den Eindruck hatten, dass ich zu oft vorm Fernseher oder vorm Computer hänge.
DJ: Doch, klar. Da gab es schon harte Diskussionen, besonders in der Grundschulzeit. Ich fand es blöd, dass ich nur die "Sendung mit der Maus" gucken konnte, weil wir nur drei Programme hatten. Das war echt nervig. Meine Freunde durften da schon irgendwelche Comicserien sehen. Das fand ich cool.
Später in der Schule hatte ich einen Freund, der im Internet ein bestimmtes Online-Spiel bis in die Nacht hinein gespielt hat, auch während der Schulzeit. Wenn der morgens in die Schule kam, war er total fertig und er hatte eigentlich immer nur dieses eine Gesprächsthema. Da habe ich gedacht: Der ist richtig süchtig danach - wie gut, dass ich rechtzeitig den Absprung geschafft habe. Ich hatte dieses Spiel nämlich auch eine Zeitlang intensiv gespielt und mich dann bewusst dagegen entschieden, weil es zuviel Zeit und Geld kostete. Mir waren meine Freunde, die Jugendarbeit und auch die Schule wichtiger. Im Nachhinein denke ich, dass die Auseinandersetzungen zwischen mir und meinen Eltern in mir ein Bewusstsein dafür geschaffen haben, was Schrott ist und was Qualität hat.
Daniel: Ich habe mir vorgenommen beizubehalten, bewusster mit meiner Zeit umzugehen. Ich könnte mir auch vorstellen, mir keinen Fernseher anzuschaffen.
DJ: Ich werde Informatik studieren und notgedrungen viel mit dem PC zu tun haben. Aber das finde ich nicht schlimm, es ist ja mein Hobby. Die Frage ist dabei sicherlich, wie ich den PC nutze. Ich habe nicht die Befürchtung, dass ich da irgendwie absacke. Ich denke, dass ich Freunde finden und viel mehr mit dem real life zu tun haben werde.
Johannes: Ich weiß, dass ich da ein Suchtpotential habe und werde versuchen, Vorkehrungen zu treffen. Regeln festlegen, wann ich fernsehe, und vor allem, wann nicht und was nicht. Ich habe mir auch überlegt, keinen Fernseher und keinen PC anzuschaffen, wenn ich jetzt zum Studium in eine neue Wohnung ziehe. Die Sachen, die ich am Computer machen muss, kann ich vielleicht in der Uni-Bibliothek erledigen. Ich weiß nicht, ob ich das wirklich so hinkriege, aber ich werde es ausprobieren, denn ich weiß, dass ich angreifbar bin. In diesem Jahr habe ich auch gemerkt, wie viel Spaß mir die Jungschararbeit macht und ich will mich dafür auch in der neuen Stadt engagieren und meine Zeit in so etwas investieren. Mir ist erst hier bewusst geworden: Wenn man die Zeit, die man vor dem Fernseher verbringt, in Projekte oder Beziehungen stecken würde, was könnte man da alles bewegen!
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