von M. T.
17 Jahre Gefährtenschaft auf zwei sehr unterschiedlichen Wegen. Räumlich verbunden durch vier Stunden Fahrzeit im Halbjahrestakt. Darüber zu schreiben, umfasst Krisenhaftes und Gelingendes gleichermaßen. Ich tue das vor allem deshalb, weil ich zutiefst dankbar bin für den Mut aller Menschen, die in den Salzkörnern freimütig über ihr Leben geschrieben haben.
Es gibt nur wenige Menschen, denen ich über die Jahre gestattet habe, Einblick in mein Leben zu nehmen, ja mich zu begleiten. Von solchen Menschen ging primär Wertschätzung aus. Be- oder Verurteilungen befürchtete ich hier nicht. Fragen waren hilfreiche Einlassungen. Mathias gehört bis heute dazu.
Eine Kultur des Gesprächs und der Diskussion kenne ich von zu Hause nicht. Die Sehnsucht nach einer gedeihlichen Atmosphäre, die mir erlaubt, mich gedanklich zu entfalten, trug ich deshalb immer in mir. Weil ich gehört werde, kann ich endlich auch hören. Freundschaft schließt beides anteilsgleich ein: Austausch!
Durch häufigen Gebrauch blass geworden doch noch immer zutreffend für uns ist die Formel "sich immer wieder darauf einlassen": mal gestupst vom anderen, mal selbst initiiert. So erlebe ich Freundschaft - andocken dürfen und dann wieder frei sein, frei auch von den Unzulänglichkeiten des anderen. Beziehung und Freundschaft sind stets auch Spiegel meiner selbst, meiner Wünsche an mich und den anderen und meiner ernüchternden Realität. Mein Freund ist mir Stolperstein und Hangelleine.
Der Austausch mit Mathias half mir zu werden, der ich bin. Diese Entdeckung gehört nicht zu meinen biographischen Grunderfahrungen - mit der Folge, stets zu suchen, was mich wohl ausmacht: Miteinander unterwegs sein in der Polarität von "Ich wär’ so gern wie du" und "Gut, dass ich bin, wie ich bin."
In Mathias fand ich zunächst einen Gesprächspartner, zunehmend einen Menschen des vertraulichen sich Mitteilens. Die Schnittmenge unseres Aufmerkens gegenüber geistlichen wie politischen Fragen ist groß, unsere kritische Anteilnahme daran ebenso. Das Gespräch ist unsere Spielwiese geworden.
Mathias ist ein Tüftler, ein Optimierer in praktischen wie in "erkenntnistheoretischen" Bereichen. Nicht müde wird er des Fragens und Anmerkens. Nerven mich beispielsweise ausführliche Berichte über handwerkliche Lösungen, so gibt es auch diesen anderen Teil, den ich als so bereichernd empfinde: Austausch auf Augenhöhe über einen Gedanken, einen Aufsatz, eine tagespolitische Meldung, über Krieg und Frieden, Himmel und Erde. Geistliches und Ungeistliches bewegt gleichermaßen unsere Gemüter. Beflügelnd ist für uns die Welt der Bücher, jedes eine Welt für sich und Anlass zum Gespräch.
Das Gespräch, der Austausch mit ihm, reflektiert mein Dasein, meinen Glauben, mein Scheitern und Gelingen. Es gäbe unsere Freundschaft nicht, gäbe es den Austausch zwischen uns nicht. Austausch als Welterleben. Reiseziele, Freizeitinhalte sind austauschbar. Das Gespräch mit Mathias aber gibt es so nur mit ihm. Es ist unersetzlich.
Die Unverzichtbarkeit des Eigenen wurde mir im Gespräch mit ihm deutlich. Im gleichnamigen Musical hört "der kleine Tag" den vergangenen, alten, weisen und erfahrenen Tag in seine Mutlosigkeit hinein singen: "Dies ist dein Tag - dies ist dein Leben!"
Die Erfahrungen und der Horizont, die Mathias mit mir teilt, machen mich reich und erweitern meinen Horizont, ermöglichen mir Wachstum. Seine Worte konnte ich mir nicht selber sagen.
Tabus? Gibt es, doch nur ich selbst entscheide, worüber ich nicht reden will. Und ich zögere nur aus Furcht, meine Erfahrung oder Meinung seinen Fragen auszusetzen. Der Boden von Vertrauen und Bedingungslosigkeit ist ein gewachsener und prägt unsere Beziehung.
Anfänglich lange Briefe wurden irgendwann durch ebensolche Telefonate abgelöst. Stundenlange Gespräche am Frühstückstisch wie auch gemeinsames Kochen sind die Regel, wenn wir uns treffen. Wir beide haben die "Sederfeier" in der OJC kennengelernt und mit Freunden gefeiert. Das war vor Jahren. Seitdem verbringen wir jedes Jahr Ostern zusammen.
Ja, das Gebet kommt. Doch nicht so oft. Das ist vor allem durch unsere weit voneinander entfernten Wohnorte bedingt. Während unseres Gespräches aber empfinde ich nicht selten eine so tiefe Dankbarkeit, dass ich uns ungeteilt in der Nähe, ja Gegenwart Gottes wahrnehme. Wir sind zu dritt und der Heilige Geist beflügelt uns, schenkt Ausblicke, neu gewonnene Trittfestigkeit, den Mut für das, was unmittelbar bevorsteht. Er lässt uns aufsteigen wie Adler. Der Geist segnet unseren Austausch und damit unser gesamtes Leben.
Unsere Freundschaft hat sich, seit wir uns bei der OJC kennengelernt haben, entwickelt. So teilte Mathias zu Beginn meine Vorliebe für Museen, Galerien oder Konzerte nicht wirklich. Erstaunt war ich, als er bei einem meiner Besuche ein Kulturprogramm ganz nach meinem Geschmack vorbereitet hatte. Darüber freute ich mich riesig. Und immer wieder überraschte er mich mit der Frage: "Hast du Lust mitzukommen?" Das hieß für mich, Neuland zu entdecken, meist gepaart mit dem Kennenlernen von ungewöhnlichen Menschen. Ärgerte ich mich zunächst über diese Einfälle - ich besuchte ja ihn -, entdeckte ich bald, Beschenkter zu sein.
Ungewöhnlich privilegiert empfand ich mich, wenn er mich in seine Zeiten von Krankheit und beruflichen Wirren hineinnahm. Beschämt war ich jeweils Zeuge eines aufrechten Mannes, der seine Furcht überwand durch seinen Glaubensanker und hierin anderen viel eindeutiger Zeuge war, als ich mich erlebte.
Als Christenmensch wollte ich mündig werden und fand die OJC. Hier dachte, redete und schrieb man anders. Den Himmel erlebte ich als geerdet und Christsein durch jeden Menschen, der mit Christus unterwegs ist, anschaulich und erlebbar anders ausgeformt. Ich hatte das Leben mehr gedacht als gelebt. Inzwischen lebe ich mehr, vor mir selbst immer wieder unvollkommen, doch dankbar über so viel Gelingendes. Auf diesem Weg war und ist mir der Austausch mit Mathias ein wirklicher Wanderstab.
M. T. war 1991 in der OJC. Heute unterrichtet er Musik und Mathematik in P.
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