Interview mit Roland Werner über ihre Entstehung, ihren Inhalt und ihre Lesart.
Gegenfrage: Was genau meinst du mit „wahr“? Im Johannesevangelium sagt Jesus: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zum Vater denn durch mich.“ (Joh 14, 6). Wenn ich diese Aussage von Jesus als „wahr“ anerkenne, erkenne ich auch das Kommunikationsmedium, durch das mir diese Wahrheit nahegebracht wird, als „wahr“ an, also die Bibel. Das kann ich nicht trennen. Auf der anderen Seite muss ich als Christ unterscheiden: Jesus ist die Wahrheit, die Bibel spricht, erzählt, berichtet von der Wahrheit. In der Bibel findet sich das direkte Reden Gottes: „So spricht der Herr…“. Da finden sich aber auch menschliche Aussagen, die eben nicht Gottes Wort sind.
Ein deutliches Beispiel finden wir im Buch Hiob. Hiob erlebt großes Unglück. Seine Freunde kommen und trösten ihn, teilweise mit fadenscheinigen Aussagen, im besten Fall mit einer Mischung aus Wahrem und Unwahrem. Am Ende spricht Gott selbst und nennt das, was die Freunde gesagt haben, Unfug. Also sind die Worte der Freunde Hiobs, obwohl in der Bibel, nicht „wahr“, sind nicht direkte Worte Gottes. Und dennoch ist das Buch Hiob als Ganzes wiederum Wort Gottes und in seiner Gesamtaussage eine wichtige Botschaft für uns. Wenn wir nach der Wahrheit der Bibel fragen, müssen wir genau hinschauen, denn die Bibel ist gleichzeitig Menschenwort und Gottes Wort.
Ist die Schrift damit widerlegt? Das sind ja echt uralte Kamellen! Aber sie werden immer wieder aus der Mottenkiste herausgeholt. Brehms Tierleben ist wirklich nicht der letzte Schrei, was biologische Fakten betrifft. Aber ernsthaft: Man muss die hebräischen Worte genau ansehen. Der schaphan, meist als „Klippdachs“ übersetzt, ist wahrscheinlich der syrische Schliefer, der in der Tat einen zweigeteilten Magen hat und „wiederkäut“. Ähnlich ist es bei dem als „Hasen“ übersetzten Tier. Wenn wir an dieser Stelle in eine Detaildiskussion einsteigen, wäre das seitenfüllend. Wen das wirklich interessiert, dem empfehle ich eine ausführliche Recherche. Die wird ergeben, dass die Bibel hier keine fehlerhafte Aussage macht, sondern dass die Widersprüche auf unseren Übersetzungen gründen.
Nein. Mohammad behauptete, sein Koran sei das ewige Wort Gottes, das auf einer Tafel im Himmel – auf Arabisch – aufbewahrt und ihm Stück für Stück durch direkte Eingebung gegeben sei. Da sind Widersprüche, wie sie im Koran zu finden sind, unerträglich, weil sich dann Gott geirrt haben muss. Der Koran identifiziert z. B. die Mutter Jesu – arabisch Maryam – mit der Schwester des Mose. Doch zwischen den beiden „Maryams“ liegen viele Jahrhunderte. An solchen Stellen steht die Koranauslegung vor einem unlösbaren Dilemma.
So ist die Bibel nicht. Sie ist von Menschen geschrieben worden, und zwar von vielen unterschiedlichen. Doch sie haben alle ein Thema: Gottes Wirken in unserer Welt, seine Liebe, seine Geschichte mit den Menschen, seine guten Absichten. Die Verfasser der biblischen Bücher wurden von Gottes Geist bewegt und geleitet (2. Tim 3, 16-17). Das hebt aber ihren menschlichen Charakter und ihre Eigenart nicht auf. Lukas zum Beispiel schreibt sein Evangelium anders als Markus und der wiederum anders als Matthäus. Gottes Wirken und das Wirken von Menschen greifen ineinander. John Stott spricht in diesem Zusammenhang von einer „doppelten Autorenschaft“ und meint damit, dass auf der einen Seite Gott bzw. sein Geist als „Autor“, als Urheber, als Urgrund der Bibel gesehen werden kann, auf der anderen Seite die konkreten Menschen wie David, Paulus oder Johannes.
Das ist eine typisch moderne Frage. In der Antike wurde genau umgekehrt argumentiert: Weil die biblischen Bücher älter als die der griechischen Philosophen waren, wurden sie als relevant angesehen. Aber Hand aufs Herz: Ob ein Text alt oder jung ist, ist weniger wichtig als die Frage, was er aussagt. Und die Botschaft der Bibel ist in der gesamten Welt der Religionen völlig einzigartig. Gott, der Schöpfer, der sich den Menschen in Treue und Verlässlichkeit zuwendet, der einen unverbrüchlichen Bund der Liebe mit ihnen eingeht und der schließlich sich selbst gibt, ohne jeden Vorbehalt – das ist eine Botschaft, die ihresgleichen sucht.
Diese Versuchung ist fast so alt wie die Kirche. Doch das Neue Testament ist nur als Erfüllung der Verheißungen, die im Alten Testament gemacht wurden, verständlich. Das zu trennen, beraubt die neutestamentliche Botschaft nicht nur ihrer Tiefe, sondern auch ihrer echten Bedeutung. Jesus, der Sohn Davids, ist der Messias Israels und auch nur deshalb der Erlöser der Völker. Gottes Geschichte mit seinem Volk ist die Grundlage, Israel ist der Ölbaum, in den die „wilden Zweige“ eingepfropft wurden (Römer 9-11). So erklärt der Völkerapostel Paulus diese unlösbare Beziehung. Außerdem birgt die Trennung der Kirche von Israel immer die Gefahr des Antisemitismus in sich.
Es ist richtig, nicht von „der“ historisch-kritischen Methode sondern von „den Methoden“ zu sprechen. Grundsätzlich sind es Versuche, den Bibeltext historisch, literarisch und textkritisch zu untersuchen. Manche dieser Methoden werden auch in anderen Disziplinen verwendet; manche sind inzwischen veraltet oder bauen auf veralteten Vorstellungen auf, z. B. wenn man meint, dass sich Religionen quasi evolutionistisch von „primitiven“ zu höheren, abstrakteren Vorstellungen weiterentwickeln.
Ein anderes Problem, das häufig gerade im Bereich der Theologie auftaucht, ist, dass bestimmte philosophische Voraussetzungen unabhängig von der Methode schon im Vorfeld festgesetzt werden. Etwa die, dass es ein direktes Eingreifen Gottes nicht geben kann. So hat der Marburger Neutestamentler Rudolf Bultmann den berühmten Satz niedergeschrieben: „Man kann nicht elektrisches Licht anmachen und zugleich an die Wunderwelt der Bibel glauben.“ (In: Neues Testament und Mythologie 1941) Und so muss er zwangsläufig die Bibel „entmythologisieren“. Doch dieser Ansatz ist nicht in sich wissenschaftlich, sondern eine vor-wissenschaftliche, philosophische Grundentscheidung, die nicht mehr hinterfragt wird. Wo die Theologie dieser Annahme folgt, verlässt sie den Boden strenger Wissenschaft. Grundsätzlich ist also gegen historisch-kritische Methoden nichts einzuwenden, wenn ihre Grenzen erkannt und respektiert werden. Problematisch wird es erst, wenn sie sich aufschwingen, die Möglichkeiten Gottes, in die Welt einzugreifen, also z. B. Wunder zu tun, einzuschränken und atheistische oder deistische Denkvoraussetzungen als wissenschaftlich darzustellen.
Es gibt diesen Gegensatz zwischen Wissenschaft und Glaube nicht. Wir sollten die Bibel immer als Ganzes verstehen und im Zusammenhang lesen, nach dem alten reformatorischen Prinzip: scriptura se ipsam explicat – die Schrift erklärt sich aus sich selbst. Das bewahrt vor Einseitigkeiten in jeder Hinsicht.
Gott ist nicht stumm. Er redet auch heute. Davon leben wir, dass er in unser Leben hineinspricht. Doch sein Reden beinhaltet keine „neuen Offenbarungen“, die von der biblischen wegführen oder ihr etwas wesentlich Anderes oder Neues hinzufügen. Gott hat in Jesus ein für alle Mal geredet (Hebr 1, 1ff). Mehr noch: Das ewige Wort wurde Fleisch, wurde Mensch. Das ist nicht wiederholbar und muss auch nicht wiederholt werden, sondern es gilt zu verstehen, was dieses einmalige Reden Gottes für uns heute bedeutet. Sein Geist „aktualisiert“ das für uns. Gottes Geist verlebendigt Jesus für uns. Dabei ist und bleibt der biblische Kanon für uns genau das, was dieses griechische Wort bedeutet: Richtschnur, an der sich jedes vermeintliche Reden Gottes prüfen lassen muss.
Wir unterscheiden zwischen Inspiration und Illumination, also „Geisteinhauchung“ und „Erleuchtung“. Wir brauchen als Leser der Bibel die „Erleuchtung“, die derselbe Heilige Geist schenkt und bewirkt, der die Verfasser der biblischen Bücher geleitet und inspiriert hat.
Diese Herausforderung stellt sich bei jeder Übersetzung. Jede Sprache ist anders, jede Kultur auch. Bei der Übersetzung von das buch. aus dem Griechischen hat mir geholfen, dass die Grundtexte des Neuen Testaments bereits Übersetzungen sind. Obwohl Jesus und die Jünger sicher auch etwas Griechisch konnten, war das nicht ihre erste Sprache. Die Worte, die Jesus auf Aramäisch oder möglicherweise auch auf Hebräisch (darauf deuten neuere Forschungen hin) gesagt hat, wurde uns auf Griechisch weitergegeben. Das Ziel jeder Übersetzung ist, die Botschaft verständlich zu machen und die Menschen zu erreichen. Das war damals so und ist es heute noch. Übersetzen ist ein Ringen darum, dass der Sinn so transportiert wird, dass der heutige Leser und Hörer dasselbe versteht wie der damalige Leser oder Hörer und zu entsprechenden Reaktionen bewegt wird. Eine Übersetzung ist nicht dann korrekt, wenn die Worte übereinstimmen, sondern wenn der Sinn getroffen wird. Ein Beispiel: Die angemessene Übersetzung von How do you do? ist nicht: Wie tust du tun? sondern: Wie geht es dir?
Ja, wenn wir mit „wörtlich“ „sinngemäß“ meinen.
Ich arbeite ja schon lange in Afrika an einer Bibelübersetzung und lese für mich die Bibel in den unterschiedlichsten Sprachen, sicher in 15 oder mehr. Die Übersetzung von das buch. hat mir die deutsche Sprache noch einmal besonders nahegebracht und ich bin begeistert, welch ein geschmeidiges, genaues und schönes Werkzeug uns da gegeben ist.
Ich bin neu von der Bibel begeistert und überrascht. Wenn ich sie lese, merke ich: Hier philosophiert nicht jemand über etwas, von dem er keine Ahnung hat, sondern hier kommen Menschen zu Wort, die wirkliche Erfahrungen gemacht haben. Unterschiedlichste Menschen, so bunt und verschieden wie du und ich und wir, die aber eines erlebt haben: Gott ist Wirklichkeit. Diesen Klang der Echtheit, der Wahrheit, habe ich stark wahrgenommen. Dafür bin ich dankbar, und diese Erfahrung möchte ich nicht mehr missen.
Das Gespräch führte Jeppe Rasmussen.
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