Aus gutem Grund

Aus gutem Grund: Plädoyer für ein Bekenntnis zu den Fundamentals
Aus gutem Grund: Plädoyer für ein Bekenntnis zu den Fundamentals

Plädoyer für ein Bekenntnis zu den „fundamentals“

von Stephan Holthaus

Wer will noch Fundamentalist sein? Angesichts bombenlegender Terroristen und schießwütiger Radikaler wird sich niemand dieses Etikett umhängen wollen. Religiöser Fundamentalismus steht für Militanz und Aggressivität, ihre Vertreter gelten als ewig gestrig, engstirnig und verklemmt, unwillig, sich zu ändern und als überzeugte Schwarzseher – kurz: Feinde der Gesellschaft. Das will niemand sein, und so sind die Fundamentalisten eben immer die anderen.

Sachliche Debatte über Fundamentalismus

Um die emotional geladene Debatte zu versachlichen, müssen wir differenzieren. Die Bezeichnung „Fundamentalist“ war nämlich über viele Jahrzehnte ein Ehrentitel. Sie fand in den 1920er Jahren Eingang in den amerikanischen Sprachgebrauch und bezeichnete zunächst freikirchliche Baptisten, die sich gegen die Liberalisierung theologischer Positionen in den eigenen Kreisen zur Wehr setzten. Schnell wurde daraus in den USA eine Bewegung: ­Bibeltreue Christen aus unterschiedlichen Kirchen beriefen sich auf nichthinterfragbare Grundlagen des Christusglaubens: die Gottessohnschaft Jesu Christi, seine Menschwerdung, die Faktizität seiner Wundertaten, sein stellvertretendes Sühneopfer, seine leibliche Auferstehung und Wiederkunft am Ende der Geschichte. Diese „Dogmen“, die in der Kontinuität der Überzeugungen der frühen ­Kirche, der Reformation, der Orthodoxie, des Pietismus und der Erweckungsbewegungen standen, wollte man gegen den zunehmenden Relativismus in Staat und Kirche verteidigen.

Fundamentalismus war also nichts Anrüchiges oder Anstößiges, sondern das Hauptkenn­zeichen eines, wie man später sagte, „evangelikalen“ Glaubens. Seit den 1960er Jahren wurde der Terminus auf andere Religionen und Gruppen ausgeweitet und mutierte zunehmend zum Inbegriff für radikale Positionen, später für ­alles Fanatische und Militante. Was zuvor theologische Inhalte und Überzeugungen bezeichnete, steht nun für ein bestimmtes Verhaltensmuster. Es ist daher verständlich, dass Christen ­al­lergisch reagieren, wenn man sie des Fundamentalismus bezichtigt.

Differenzierte Bewertung

In der Tat ist Differenzierung nicht die Stärke der Fundamentalismuskritiker. Mit dem Begriff kann alles mögliche gemeint sein: Eine Frak­tion der „Grünen“ ebenso wie katholische „Traditionalisten“ der Pius-Bruderschaft, orthodoxe Juden oder militante Sikhs in Indien, Muslimbrüder in Kairo und Pfingstler in Südamerika, generell alle Freikirchler, Schulverweigerer, Kreationisten, Gegner gelebter Homosexualität usw. Nach Ansicht des Marburger Sozialethikers Stephan Pfürtner sind Hooligans, Links- und Rechtsextremisten sowie die Golfkriegsparteien „Fundamentalisten“, denen heftig ­widerstanden werden muss. Hubertus Mynarek hält gar das gesamte Christentum für fundamentalistisch, weil es den Glauben an einen Gott für alle Menschen verbindlich macht.

Solch pauschale Anwendung vernebelt den ­Begriff. Wenn alles fundamentalistisch ist, ist nichts fundamentalistisch. Die Unterschiede zwischen einzelnen Gruppierungen sind zu groß, als dass man von einem einheitlich globalen Fundamentalismus sprechen könnte. Motive und Vorgehensweisen radikaler Muslime sind nicht vergleichbar mit den missionarischen Bemühungen der Evangelikalen, ebenso wenig die Pius-Bruderschaft mit der Heilsarmee. ­Begriffe wie „autoritär“, „kämpferisch“, „militant“ und „radikal“ sind wenig hilfreich, da man solcher Haltung durchaus auch in den ­Reihen scheinbar toleranter Fundamentalismusgegner oder Vorkämpfer für „political correctness“ begegnet.

Verbindliches Bekenntnis

Uns aber sollte es nicht um bloße Begriffe ­gehen – über die lässt sich bekanntlich streiten –, sondern um die Sache und um das Anliegen. Auch nicht um bestimmte (konservative) Verhaltensmuster, so brisant das Thema zuweilen auch ist. Die genannten fundamentals des Glaubens sind keine theologischen Randthemen oder Marotten verbohrter Konservativer, sondern wichtige Überzeugungen des christlichen Glaubens. Letztlich geht es um die Wahrheitsfrage. Denn auch wenn Glaubensdogmen heute scheinbar „out“ sind und niemanden mehr interessieren: Es gibt keinen Glauben ohne ein verbindliches Bekenntnis.

Deshalb: Wir brauchen Fundamente! Nicht im Sinne bombenlegender Extremisten. Auch nicht im Sinne radikaler Separatisten. Fundamentalismus im besten Sinne ist klar in der Sache, aber geduldig und liebevoll im Umgang mit Andersdenkenden. Er möchte nicht mehr und nicht weniger als eine Rückbesinnung auf die Basis des christlichen Glaubens. Das ist, wie ich meine, ein berechtigtes und dringendes Anliegen angesichts des Verfalls der ethischen Fundamente in Kirche und Gesellschaft.

Von

  • Stephan Holthaus

    Dr. theol., ist Dekan und Hochschullehrer für Ethik an der Freien Theologischen Hochschule Gießen, außerdem Leiter des Instituts für Ethik und Werte in Gießen.

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