Geweint, gelacht, gesungen

Leben in Fülle beinhaltet für Juden beides: Lachen und Trauern - und Musik gehört stets dazu.
Leben in Fülle beinhaltet für Juden beides: Lachen und Trauern - und Musik gehört stets dazu.

Verwaiste israelische Eltern zu Besuch in Greifswald und Weitenhagen

Von Maria Kaißling und Rudolf Böhm

Noch sind wir voller israelischer Melodien. Zwei Wochen lang haben wir sie gesungen, gesummt und oft auch -getanzt. Das machten -Ischai und seine Frau Ya´fa möglich, Musiker und Eltern, die den Tod eines Kindes betrauern. In Begleitung von Ilan Brunner waren sie mit sieben anderen verwaisten Ehepaaren für zwölf Tage zu Gast bei Elke und Wolfgang Breithaupt in Weitenhagen und der OJC in Greifswald. Im Rahmen des „DisraeliS-Projekts“ (s. rechts) bekommen sie Abstand von all dem Schweren, das ihnen in Israel täglich begegnet. Ischai ist Kind von Holocaust-Überlebenden, er weiß aber fast nichts von seiner Familie: wie groß sie war, wo sie her- und wo sie hinkam, weil sein Vater nie darüber sprach – auch nicht am Endes seines Lebens. Die Familie lebte einst in Dortmund.
Ischai und Ya´fa haben ihre Tochter Ya´ar während der Militärzeit durch einen Autounfall verloren. Sie war musikalisch hochbegabt und talentierte Tänzerin. Ischai selbst lernte bei Giora Feidman. Schon ehe er in Weiten-hagen ankam, bat er, dass wir ein Akkordeon für ihn besorgen. Zum ersten Mal seit dem Tod seiner Tochter spielte er wieder dieses -Instrument. Bei der Schabbat-Feier dirigierte er unseren Gesang – zum ersten Mal seit dem Autounfall der Tochter hatte er wieder einen Chor geleitet.

Zum ersten Mal

Auch andere „Disraelis“ erlebten ein erstes Mal. Immer wieder fielen Sätze wie: „Zum -ersten Mal seit vielen Jahren habe ich wieder Schabbat-Kerzen angezündet, dieses Lied -gesungen, musiziert, getanzt, ausgelassen -gelacht, mit jemandem über ‚so etwas‘ gesprochen...“
Nach einer würdevollen Zeremonie im ehemaligen KZ Sachsenhausen (Oranienburg) – zum Gedenken an die im Holocaust umgekommenen Verwandten – fiel Batja heftig schluchzend Maria um den Hals. Zum ersten Mal seit ihr Sohn als Sanitäter getötet wurde, habe sie wieder die „Hatikva“, das Hoffnungslied der Juden, gesungen. Sie hätte es nie wieder singen wollen, aber das Miteinander hat sie nun als „Erlösung“ erlebt.

Edna und Uzi aus Ashkelon sind mit einem Rabbiner in Berlin bekannt. Als wir dort -waren, beschlossen sie um 22:30 Uhr, ihn mit den zwölf anderen Israelis zu besuchen. „Was sind denn das für Leute in Deutschland, bei denen ihr solche Dinge erlebt?“ fragte er die Gruppe, nachdem sie ihm von ihren Erlebnissen bei uns berichtet hatten.

Während der Begegnung gab es auch ein Trauerseminar, an dessen Ende jeder seine -Lasten und Hoffnungen auf ein Blatt Papier schrieb. Miteinander legten wir die Blätter in ein Erdloch und pflanzten anschließend eine Eiche darauf. Diese Zeremonie war tränenreich, aber auch befriedend für jeden.

Angerührt 

Unter uns hat trotz aller kultureller und persönlicher Verschiedenheit Gottes Liebe und Trost in bewegender Weise gewirkt, so dass wir am Ende alle nur staunen konnten. Bereits am zweiten Tag sagte ein Gast, er habe noch nie erlebt, dass Menschen einfach so ihre -Liebe verschenken – ohne etwas dafür zu erwarten. Seine Freude hat uns angerührt, aber den Dank möchten wir nicht für uns verbuchen:  Wir sind gewiss, dass ihn die Liebe des Ewigen angerührt hat.              

Maria Kaissling und Rudolf Böhm leben und arbeiten im Haus der Hoffnung, in der Greifswalder Auspflanzung der Offensive Junger Christen. Als Leiter des OJC-Seelsorgeteams engagieren sie seit  6 Jahren für die Begegnung mit israelischen Eltern, die durch militärische Konflikte und Terroranschläge ein Kind verloren haben im Rahmen des "Disraelis"-Projekts. 

Das „DisraeliS“-Projekt (Disabled Israelis) wurde 2002 von Ilan Brunner zusammen mit seiner Frau Esti (+ 2010) in Tel Aviv ins Leben gerufen. Mit jungen Erwachsenen, die durch Attentate verletzt wurden, und mit Eltern, die ein oder mehrere Kinder verloren haben, reist er zu Begegnungen nach Europa. Sie bekommen die Möglichkeit, vom Leben in ihrem Land und von ihrem persönlichen Schicksal zu berichten. Ilan liegt die Begegnung von Deutschen und Juden besonders am Herzen. Als Überlebender des Holocaust möchte er so zum besseren Verständnis zwischen den beiden Völkern beitragen. Seit zehn Jahren engagiert sich die OJC für dieses Projekt.

Von

  • Maria Kaißling

    Religionspädagogin. Sie lebt in der OJC-Auspflanzung in Greifswald und ist vorwiegend als Seelsorgerin tätig.

    Alle Artikel von Maria Kaißling

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