Exposed 2013 - Mitmachen gegen Korruption
Die Micha-Initiative der Evangelischen Allianz, der die OJC seit der Gründung angehört, hat gemeinsam mit Partnern, u.a. die Heilsarmee, die globale Kampagne EXPOSED 2013 gestartet, bei der sich Christen weltweit gegen Korruption und Steuerflucht engagieren. Vom 14. bis 20. Oktober wird es – auch in Deutschland – eine Aktionswoche dazu geben. Wir haben den Steuerexperten Markus Meinzer vom Tax Justice Network, der die Micha-Initiative berät, dazu befragt.
Ist Korruption schlicht ein anderes Wort für Bestechung und Bestechlichkeit? Oder steckt mehr dahinter?
Korruption ist eindeutig mehr als Bestechung oder Bestechlichkeit. Nicht nur Schmiergeldempfänger und -zahler, sondern auch Anwälte oder Bankiers, die bei der Tarnung und Hinterziehung von Geldern behilflich sind, sind letztlich Teil der Korruption. Menschen, die eine gesellschaftsrelevante Stellung haben, sind leicht versucht, von der gemeinschaftstiftenden und wertschöpfenden Aufgabe zugunsten des eigenen materiellen Vorteils abzuweichen. Übrigens: In der Bibel wird jemand, der seine Gewichte fälscht, als korrupt bezeichnet.
Du bist Analytiker im Tax Justice Network und setzt dich viel mit gerechter Besteuerung auseinander. Was hat das mit Korruption zu tun?
Sowohl Steuerhinterziehung als auch Steuervermeidung sind Spielarten der Korruption. Alle greifen sie auf ähnliche Tarn- und Verschleierungstricks zurück. Eine entscheidende Rolle spielen dabei sogenannte „Steueroasen“, die eine systematische Flucht vor Regeln und Gesetzen anderer Staaten ermöglichen. Darum greift aus unserer Sicht der Begriff „Steueroase“ viel zu kurz, wir sprechen lieber von „Verdunkelungs-oasen“ oder „Schattenfinanzplätzen“.
Was läuft in solchen Verdunkelungsoasen ab?
Die Globalisierung hat die Konzernsteuervermeidung vervielfacht. Eine Armee aus hochbezahlten Anwälten, Bankiers und Wirtschaftsprüfern beschäftigt sich intensiv mit Steuer- und Regulierungstricks, sucht nach Lücken in Rechtssystemen und Offenlegungspflichten und verkauft diese Tricks dann an Superreiche oder Konzerne. Die Regierungen kleiner Schattenfinanzplätze sind Winzlinge im Vergleich zu globalen Finanzkonzernen. Manche Beobachter sprechen von „gekaperter Staatlichkeit“ durch private Interessengruppen, denn sie können selbst Gesetze zu ihren Gunsten durchsetzen.
Wo kommt die Verdunkelung ins Spiel?
Für Steuerhinterzieher und Geldwäscher ist die Maxime, Vermögen und Erträge so zu strukturieren als gehörten sie nicht dem wirklichen Eigentümer. Dies gelingt, indem Bankkonten im Namen von Briefkastenfirmen geführt werden, die wiederum von anonymen Trusts und Privatstiftungen kontrolliert werden – oft über mehrere Verdunkelungsoasen komplex verschachtelt. Strafverfolger oder Steuerbehörden haben kaum eine Chance zu beweisen, wer tatsächlich hinter Firmengeflechten steht. Zurzeit wird in der europäischen Politik ein Kampf darum geführt, dass die wahren Eigentümer von Briefkastenfirmen und Trusts in einem Register veröffentlicht werden müssen.
Ein schwer zu durchschauendes Geflecht auf internationaler Ebene, das auf den ersten Blick kaum etwas mit uns zu tun hat. Inwiefern geht Korruption jeden von uns an?
Die Kosten der Korruption bezahlen vor allem die Schwächeren und Schwächsten einer Gesellschaft. Die Spaltung in Arm und Reich vertieft und beschleunigt sich dadurch, dass wohlhabende Eliten und Konzerne sich aus der steuerlichen Verantwortung der Gesellschaft verabschieden, von der sie profitieren. Wenn dem Gemeinwesen Milliardeneinnahmen vorenthalten werden, steigen entweder die Schulden und verschlechtert sich die Qualität der öffentlichen Dienstleistungen oder die Steuerlast wird zunehmend auf Gering- und Durchschnittsverdiener abgewälzt. In Deutschland können wir einen Mix dieser drei Folgeerscheinungen beobachten.
Und anderswo?
In Entwicklungsländern gilt dasselbe noch viel existenzieller. Erhalten beispielsweise Bergbaukonzerne durch Bestechung extrem vorteilhafte Förderverträge und -lizenzen für hochprofitable Rohstoffgewinnung, geht die Bevölkerung doppelt leer aus. Die zuständigen Beamten verabschieden sich mit ihren Schweizer oder deutschen Bankkonten aus der Gesellschaft vor Ort und die fehlenden Steuereinnahmen verstärken die Abhängigkeit des Landes von ausländischen Geldgebern. Die Schulden werden dann in Krisensituationen als Hebel zur (weiteren) Öffnung der heimischen Rohstoffquellen für ausländische Wirtschaftsinteressen benutzt – ein „klassischer“ Teufelskreis.
Wie groß ist das Problem der Steuervermeidung?
Es ist extrem schwierig, dieses Phänomen belastbar zu beziffern. Aber die aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung spricht von Einnahmeausfällen im Umfang von 92 Milliarden Euro durch Steuervermeidung deutscher Unternehmen. Es wird geschätzt, dass Afrika bis zu zehn Mal mehr an illegalen Finanzabflüssen gen Westen/Norden verliert als es an Entwicklungshilfe erhält. Betrachtet man außerdem die Finanzanlagen in Steueroasen von ca. 21 – 32 Billionen US-Dollar, so wird deutlich, dass eine große Anzahl an Entwicklungsländern, die traditionell als Schuldnerländer betrachtet werden, in Wirklichkeit Gläubiger der übrigen Welt sind. 139 untersuchte Entwicklungsländer „leihen“ durch diese am eigenen Fiskus auf westliche Bankkonten vorbeigeführten Gelder den reichsten Nationen der Welt über zehntausend Milliarden US-Dollar. So helfen die ärmsten Nationen dieser Welt, unseren Lebensstandard zu halten und beispielsweise unseren Zweitwagen, unsere iPhones und Espresso-Vollautomaten mitzufinanzieren – freilich ohne gefragt zu werden.
Wer begeht Steuervermeidung?
Sehr reiche Einzelpersonen sowie Konzerne können sich die Beratung einer Steuervermeidungsindustrie leisten, die Steuersparmodelle entwickelt und vertreibt und Prognosen über den Bestand jener Modelle vor Gericht abgibt. Dieser Service ist sehr teuer, sodass der kleine und mittelständische Unternehmer oder Durchschnittsverdiener eher auf Methoden zurückgreift, die auf glasklare Steuerhinterziehung hinauslaufen.
Zu den Firmen, die mehrfach solche Steuersparmodelle genutzt haben, gehören Handy-Hersteller. Kann ich noch guten Gewissens ein Smartphone kaufen?
Aus meiner Sicht kann man eine Menge Dinge nicht mit gutem Gewissen kaufen; dazu gehört auch ein Smartphone. Als Angehöriger der sogenannten Ersten Welt bin ich durch Geburt massiver Nutznießer eines ungerechten Welthandels- und Finanzsystems. Viele Preise sind nur durch menschenverachtende Ausbeutung und strukturelle Sünden möglich. Die Frage ist für mich, wie ich mit dieser Tatsache umgehe. Motiviert sie mich, dankbar und großherzig den Segen weiterzugeben? Oder lähmt mich diese Einsicht und führt mich zur inneren Leugnung der Wirklichkeit oder zur Selbstgerechtigkeit? Wer nicht möchte, dass sein nächstes Smartphone den Bürgerkrieg im Kongo mitfinanziert, der kann seit Neuestem auf das „Fairphone“ zurückgreifen, das ab Herbst erhältlich sein wird.
Gibt es effektive Maßnahmen gegen Steuervermeidung?
Ja, man müsste zum Beispiel einen Konzern künftig als zusammenhängende und zentral gesteuerte Einheit besteuern. Bisher wird so getan, als sei ein Konzern nicht mehr als die Summe tausender voneinander unabhängiger Tochterunternehmen, die miteinander im Wettbewerb stünden. Entsprechend sollten Konzerne nur eine weltweit gültige steuerliche Ertragsrechnung abgeben. Den globalen Konzerngewinn könnte man dann auf die einzelnen Länder gemäß der für die Gewinne verantwortlichen Faktoren Produktion und Konsum aufteilen. Ein erster Schritt in diese Richtung wäre, solche Informationen durch länderbezogene Berichtspflichten zu veröffentlichen.
Wieso werden solche Maßnahmen nicht umgesetzt?
Es geht um Verteilungskonflikte und mächtige Wirtschaftsinteressen. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) beansprucht, die internationalen Steuerregeln zu diktieren. Dabei nahm sie in den vergangenen 50 Jahren in Kauf, dass diese Regeln ungenau und auch für Industrienationen nicht leicht handhabbar sind. Unter dem Strich aber profitieren die Industrienationen gegenüber Entwicklungsländern. Daher werden die Probleme toleriert. Die Aktionäre der Weltkonzerne sitzen ja in den OECD-Staaten. Ein zögerliches Umdenken beginnt jetzt, da sich herausstellt, dass Konzerne sich auch gegenüber OECD-Staaten steuerlich arm rechnen. In Zeiten der Finanz-krise erscheint das schamlos.
Was würde sich verändern für die einzelnen Länder, wenn sie die ihnen zustehenden Steuern in Zukunft tatsächlich erhielten?
Die Abhängigkeit von Entwicklungshilfe würde sinken und mehr Gelder stünden für Investitionen in notwendige soziale Infrastruktur bereit. Wichtiger aber ist, dass sich die gesellschaftlichen Eliten wieder mit politischen Entwicklungen im eigenen Land auseinandersetzen müssten. Vielerorts ist es üblich, auf korrupte Politiker zu schimpfen, während eigene Reichtümer unversteuert und undeklariert ins Ausland geschafft werden.
Müsste man auch auf im Ausland erzielte Erträge effektiv Steuern bezahlen, dann würde manch einer vielleicht wieder besser hinsehen und sich einmischen – etwa eine Zeitung gründen –, und so mitzuwirken, den Korruptionssumpf auszutrocknen. Wenn Eliten sich aus ihren Gesellschaften steuerlich „befreien“, leidet darunter immer die ganze Bevölkerung.
Bräuchte es dann keine Entwicklungshilfe mehr?
Das Fernziel der Entwicklungshilfe sollte immer sein, sich selbst überflüssig zu machen. Von heute auf morgen lässt sich jedoch nicht darauf verzichten. Allein zum Aufbau funktionierender Steuerverwaltungen und Rechtssysteme ist technische Unterstützung – wo gewünscht – notwendig. Uns muss aber bewusst sein: nicht wir finanzieren Afrikas Entwicklung, sondern Afrika leiht dem Rest der Welt – auch uns – Geld, durch die undeklarierten Auslandsanlagen auf deutschen und Schweizer Konten. Sie und wir brauchen daher nicht in erster Linie Entwicklungshilfe, sondern Gesellschaftstransformation.
Was kann jemand tun, der den Finanzteil der Zeitung lieber überspringt, vielleicht auch, weil er vieles schlicht nicht versteht?
Um eine gewisse „Schmerztoleranz“ bei der Sammlung und Bewertung von Informationen kommen wir als mündige Bürger und Nachfolger Jesu nicht herum. Berufen, Salz der Welt zu sein, können wir gesellschaftlich weit verbreitete Ansichten und Verhaltensweisen, die nicht zum Wohl des Gemeinwesens sind, hinterfragen. Wir haben unseren bequemen Lebensstil nicht etwa selbst verdient und andere Länder haben ihre Not nicht selbst verschuldet.
Wo und wie kann man sich informieren?
Wer sich noch mehr über diese Themen informieren möchte, darf auch in den Internetseiten des „Tax Justice Network“ sowie im Blog des deutschen „Netzwerk Steuergerechtigkeit“ stöbern. Das Buch „Schatzinseln – Wie Steueroasen die Demokratie untergraben“ bietet einen hervorragenden Einstieg in die Materie – obendrein liest es sich wie ein Thriller. Schließlich kann, wer sich weiter berufen fühlt, am Marburger Bibelseminar „Gesellschaftstransformation“ sowie „Development Studies“ studieren.
Wie ist Korruption, Steuervermeidung und -hinterziehung geistlich zu beurteilen?
Jesus warnt neben dem Götzendienst am dringlichsten vor dem Mammon. Gier und Stolz sind meiner Ansicht nach die geistlichen Wurzeln des Steueroasensystems. Der Stolz wird dann offenbar, wenn nur der Vergleich mit anderen noch Befriedigung verschafft. Jedes auf Wettbewerb ausgerichtete System ist hier gefährdet. Bei besonders reichen Menschen verschafft auch ein gewisser Zuwachs an Wohlstand keine Befriedigung mehr; lediglich wenn ich im Vergleich meine Steuer„last“ noch stärker senken konnte, stellt sich flüchtige Zufriedenheit ein. Für andere lautet die Frage vielleicht: Kaufe ich das neueste Smartphone, das teuerste Auto etc. nur, um im Vergleich mit anderen mehr zu glänzen? Würde mir auch ein gebrauchtes Modell reichen? Die Wurzel dieser Fehlhaltungen besteht häufig in einem verzerrten Gottesbild. Ich habe Angst, zu kurz zu kommen und hole mir, was ich meine zu brauchen. Ich denke, dass Hinwendung zum Licht – geistlich zu Jesus Christus, aber auch ganz irdisch zu mehr Transparenz – auf persönlicher wie auf struktureller Ebene das beste Mittel zur Eindämmung der Korruption ist.
Welche biblischen Richtlinien sind dir für einen Umgang mit Gütern und gerechten Ausgleich wichtig?
Das in der Tora verankerte Erlass- und Jubeljahr ist auch heute hochaktuell und stellt uns vor eine enorme Herausforderung. Sie sah offenbar schon für die Agrargesellschaft von damals vor, dass Wohlhabende alle 50 Jahre angehäuftes Kapital, also zusätzlich zum Stammesbesitz erworbene Ländereien oder Kreditforderungen, dem ursprünglichen Besitzer bzw. dessen Sippe zurückgeben. Gleichzeitig sollten all jene, die sich über Generationen – gegebenenfalls bis zur Sklaverei – verschuldet hatten, wieder schuldenfrei erklärt werden. Dieses großzügige Ausgleichskonzept kontrastiert für mich z. B. stark mit der Knausrigkeit in der Debatte um Hartz-4-Sätze oder der gängigen Entwicklungshilfe. Die wiederherstellende Gerechtigkeit Gottes in der Bibel, die in Jesu‘ anbrechendem Reich seinen Klimax erreicht, umfasst mehr als nur die Gemeinschaft der Heiligen. Gottes Segen bezieht alle mit ein. Dabei geht es nicht nur um die materielle Dimension: Gott stellt die Würde des Menschen wieder her und ruft ihn in die Gemeinschaft mit ihm und mit anderen.
Die Bibel verbietet es auch, von Menschen in Not Zinsen zu nehmen. Ist das zeitgemäß?
Das Zinsverbot wäre ein Instrument, um das Wachstum in der Schere zwischen Arm und Reich zu drosseln. Denn auf einem möglichst geringen Abstand zwischen Arm und Reich liegt Segen für alle.
Die Fragen stellte Jeppe Rasmussen
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