Im Rückblick auf mein OJC-Jahr fange ich an zu strahlen. Noch nie vorher waren Freude und Glück, harte Arbeit und Verzweiflung so stark verknüpft. Manchmal wäre ich gerne nach Hause gefahren, aber andere Momente hätte ich am liebsten konserviert und mitgenommen. Jetzt sind sie zum fruchtbaren Boden für meine Zukunft geworden. Dass es Gott gibt, war nie eine Frage für mich, doch spielte er nur die zweite Geige in meinem Leben. Da waren ja noch meine Pläne, Träume, Wünsche. Ich ging sonntags in die Kirche, ich betete vor dem Schlafen und dem Essen und war meiner Ansicht nach ein guter Christ. Gott kam mir mit seiner Bitte, ihm Raum in meinem Leben zu geben, oft quer. Schnell schob ich ihn beiseite – ich hätte ja Zeit für ihn, wenn er mir helfen würde, produktiver zu arbeiten und meine Ziele schneller zu erreichen. Aber dieser Moment kam nie. Immer war da etwas zu optimieren. Gott wurde schnell zum Sündenbock: Warum renne ich den ganzen Tag und komme doch nicht zum Ziel? Warum habe ich das Gefühl, auf einem endlosen Laufband zu sein, ich bin nur noch müde und ausgelaugt. Wie kannst du als der gnädige Gott auch noch Ansprüche an mich stellen?
Nach dem Abi war klar: Ich brauche Zeit für mich. Ich muss und will was in meinem Leben verändern. Da waren Fragen, die ich nicht länger verdrängen konnte. Eine leise Stimme in mir sagte, dass in dem Gott, den ich schon immer kannte, noch mehr steckt und dass er möglicherweise auch mehr in mir sieht. Ein neues Ziel war geboren: Möglichst schon morgen als „perfekte“ Christin auf die Welt losgelassen werden und endlich die Macken loswerden, mit denen ich tagtäglich zu kämpfen habe. Ich war fest entschlossen, mein Potenzial voll auszuschöpfen. Vielleicht würde ein Jahr in der OJC mich ja zu der Frau machen, die mein Ideal von mir verwirklichte.
Kurz vor meinem Umzug gab mir mein Vater einen Rat mit: „Sei mutig und lege deine Maske von Anfang an ab. Versuch gar nicht erst, zu beeindrucken. Sei du selbst und es wird reichen!“ Aber genau das wollte ich nicht. Warum soll ich „ich“ sein, wenn ich doch jemand viel Besseres sein kann – ein wenig wie ich, nur eben nicht so unperfekt: schöner, intelligenter, zielstrebiger, emotional ausgeglichener, begabter und selbstbewusster.
Bald kamen mir Zweifel, ob mein Plan aufgehen würde. Denn hier in der OJC wollte man nur wissen, wer ich bin. Aber so genau wusste ich das gar nicht. Ich war, was ich leistete und was man von außen wahrnahm. Darüber hatte ich die Kontrolle. Der fehlerhafte Mensch in mir, den nur ich sehen durfte, sollte kein Teil von mir sein. Ich war so fest entschlossen, an mir zu arbeiten, dass ich nur schwer akzeptieren konnte, dass es nicht nach meinem fertig ausgearbeiteten Plan lief. Zeiten zu ruhen, die Sonne zu genießen, für bereits Geschehenes zu danken und das Leben zu feiern, setzten mich unter Druck. Könnte man nicht erst anfangen zu ruhen, wenn Körper oder Geist nicht mehr zuließen, dass man Leistung brachte? Allerdings stellte ich fest, dass die Menschen um mich herum eine Freude ausstrahlten, die mehr war als „Glücklichsein“. Da war eine Gewissheit, geliebt zu sein, ein Friede, der aus einer Geborgenheit in Gott kam. Da war Freiheit, die sich nicht aus der Leistung heraus definierte.
Besonders eindrücklich ist mir eine Situation am OJC-Freundestag in Erinnerung geblieben. Alle wurden gebraucht an diesem Festtag. Am Morgen auf dem Weg zum Gottesdienst kam ich am Parkplatz vorbei und einer der Theologen machte den Einweiser. Das Bild ist mir geblieben: Es ging nicht darum, wer den wichtigsten Job hatte, ganz vorne stand und nichts „unter seinem Niveau“ tat. Sondern es ging darum, dort zu dienen, wo man gerade gebraucht wurde. Das war für mich ein Ausdruck vom wahren „In-Gott-Ruhen“ statt nach Anerkennung zu heischen. Nach und nach entdeckte ich immer mehr von diesem Schatz. In meiner Stille merkte ich, dass Gott sich auch für mein Leben so etwas gedacht hatte. Dass er nicht meine Leistung wollte, sondern er wünschte sich mich als Gegenüber. Als ich zum ersten Mal einfach nur ruhig vor ihm kniete, ohne mich zu rechtfertigen, merkte ich, dass eine Kraft in mein Leben kam. Er fragte mich, ob ich jetzt bereit wäre, ihm alle Bereiche meines Lebens anzuvertrauen und zu glauben, dass er mich genau dann am meisten liebte, wenn ich still in seiner Gegenwart war. Ich wollte eigentlich nicht einfach nur geliebt werden, weil Gott eben jeden liebt. Ich wollte, dass er begeistert von mir war. Und gleichzeitig sagte diese Stimme liebevoll, dass ich nie perfekt sein würde: „Komm nach Hause. Es ist okay, ich habe am Kreuz alles für dich getan. Du darfst Frieden bei mir finden.“ Und auf einmal verstand ich meinem Taufspruch: „Ich lebe und ihr sollt auch leben!“ (Joh 14,19).
Die verpflichtende Stunde Stille morgens wurde zur kostbarsten des Tages, nicht mehr Zeit, die mir verloren ging. Seine Pläne über meine zu stellen und ihm zu vertrauen, forderte mich heraus. Aber ich hatte jetzt ein Ziel, das mir schon auf dem Weg Erfüllung und ein Stück des Himmels gab. Ein Jahr später erkenne ich, wie Gott an mir gearbeitet hat. Er hat nicht meine Idealvorstellung erfüllt, sondern mir einen neuen Blick auf mein wirkliches Ich geschenkt. Ich wollte Theologie studieren, aber nicht allein aus meinem Wunsch heraus, sondern aus einer Berufung heraus. Vor allem wollte ich nicht in Versuchung geraten, durch die Wissenschaft Gott „im Griff zu haben“.
Mein Gabenprofil sprach eher für Psychologie, also begann ich erstmal dieses Fach zu studieren. Dieser Umweg hat sich als richtig herausgestellt. Gott hat in mir den Wunsch, den Menschen vollzeitig mit seinem Wort zu dienen, langsam reifen lassen. Nach vielen Gesprächen und Gebeten bin ich zum Theologiestudium gewechselt und genieße das Abenteuer mit Gott in vollen Zügen.
Dieses OJC-Jahr hat mein Leben weit mehr verändert und in eine andere Richtung gelenkt, als ich gewollt oder für möglich gehalten hatte. Es bestätigte sich, dass er meinen Schritten weiten Raum gibt, dass meine Füße nicht wanken (2. Sam 22,37).
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