Herr, unser Gott, auf der Höhe des Tages kommen wir zu dir. Wir gehören nicht der Arbeit, nicht den Menschen und nicht uns selbst. Wir gehören dir. Unsere Zeit steht in deinen Händen.
Prägende Worte. Laut ausgesprochen. Immer am Mittag. Täglich. Worte, die mich während meines FSJs bei der OJC begleiteten. Worte, die mich immer noch begleiten. Immer wieder, während des Freiwilligenjahres und auch danach, zeigten mir verschiedene Erlebnisse, wie wichtig es ist, die Wahrheit dieses Gebetes nicht aus dem Auge zu verlieren.
In diesem Jahr hatten wir die Möglichkeit, jeden Morgen eine Stunde stille Zeit zu „machen“. Zunächst wusste ich nicht, was ich in dieser Zeit machen sollte. Elf Monate später fragte ich mich, wie diese tägliche Stunde Stille immer so schnell vorbei geht. Ich lernte den Wert des Stillseins schätzen und wie notwendig das Alleinsein und die Stille sind, besonders wenn man denkt, dass man dafür eigentlich keine Zeit hat. Die Stille schafft Raum für Gott, und die Dinge, die mir sonst während des Tages so wichtig erscheinen, spielen in der Stille keine Rolle. Mit dem Stillwerden meine ich natürlich kein passives Sitzen im Kämmerchen, kein Zur-Decke-Schauen und Däumchen drehen. Nein, ich erfuhr, dass man ohne ein aktives Stillsein selber schnell einschläft. Ich spüre es, wenn ich den Tag nicht mit mindestens ein paar Minuten Stille und Gebet anfange und ihn Gott übergebe: „Unsere Zeit steht in deinen Händen“ – nicht „in meinen Händen“.
Als ich mich bei der OJC bewarb, war die erste Frage, die mir gestellt wurde: „Warum willst du ein Jahr in dieser Gemeinschaft mitleben, wenn du selber aus einer Gemeinschaft kommst und dich mit Gemeinschaftsleben ziemlich gut auskennst?“ Stimmt das? Ich hatte fast mein ganzes Leben in den Bruderhof-Gemeinschaften in Pennsylvania, New York und Deutschland verbracht, aber ich merkte schnell, dass ich noch einen weiten Weg vor mir haben würde, bevor ich mich als erfahrenen Gemeinschaftsmenschen bezeichnen konnte. Nach ein paar Monaten nervten mich meine Mitbewohner. Immer waren die Ausgangspunkte für die Reibereien ganz kleine Ereignisse, aber trotzdem dauerte es oft länger bis ich sah, wie unnötig es ist, so fest auf meinen Ansichten zu bestehen. Nein, ich bin kein Gemeinschaftsprofi und werde nie einer werden. Allerdings lernte ich auf diese Weise, dass es genau die Reibereien sind, die Gemeinschaft bereichern können, wenn man bereit ist, sich zu entschuldigen, die Sache hinter sich zu lassen und nach vorn zu blicken. Ich bin sehr dankbar für das Vertrauen, das dadurch in unserer Männer-WG entstanden ist, dass wir fast immer offen und ehrlich die Konfliktpunkte angehen konnten. Ich spürte, wie Gemeinschaft unter uns ganz konkret aufgebaut wurde. Wie es so schön in der Grammatik der OJC-Gemeinschaft beschrieben ist:
Daran wird die Welt erkennen, dass wir seine Jünger sind, dass wir Liebe zueinander haben … Die Räume der Gemeinschaft müssen immer wieder erkämpft, gereinigt, belichtet und einander gewährt werden. Die Gegenwart der anderen, ihr Anderssein, ihr Zuspruch und ihr Widerspruch fordern uns heraus, in eine größere Liebe zu wachsen.
Gott ist der, der Gemeinschaft ermöglicht. Wir mit unserem Können stehen ihr oft ganz groß im Weg. Wenn wir nur uns selbst oder den anderen Menschen gehörten, wäre Gemeinschaft nicht möglich. Aber da wir eine andere Zugehörigkeit haben, die zu Gott, ist das, was wegen des Menschseins eigentlich nicht klappen kann, möglich!
Als das FSJ vorbei war, fand ich mich plötzlich unter der Woche in einer mir sehr ungewohnten Umgebung wieder – als kaufmännischer Auszubildender in einer mittelständischen Firma. Während meines ersten Ausbildungsjahres stellte sich mir oft die Frage: Wo findet man überhaupt Sinn im Leben, wenn nur gearbeitet wird, um Geld aufs Konto zu kriegen, um dann zwei oder drei Wochen im Jahr Spaß finanzieren zu können? Warum ist der Urlaub so oft eine „Flucht aus der Realität meines Lebens“? Gibt es nicht eine Realität, für die man gerne 24-7 leben will und vor der man nicht flüchten muss? Klar braucht man zum Leben Geld, aber Geld an sich bietet keine bleibende Freude, keinen festen Boden und keinen Sinn. Ich merke, wie schwer es ist, mich zu freuen, wenn meine ganze Welt sich nur um mich und meine Bequemlichkeit dreht. Es kann wirklich eine Herausforderung sein, so zu leben, dass Geld, Arbeit und Komfort nicht der Mittelpunkt des Lebens sind, aber so möchte ich leben. Ich möchte mehr als nur mich selbst sehen, möchte an andere denken. Ich möchte nicht vor der Realität meines Lebens flüchten, sondern in dieser Realität leben! Ich möchte alle Arbeit, alle Herausforderungen, alle Zeiten der Ruhe und alle Zeiten der Geschäftigkeit voller Freude und Begeisterung angehen!
Es wird wahrscheinlich noch viele Höhen des Tages (aber sicher auch Tiefen) in meinem Leben geben, in denen ich zu Gott kommen muss, aber ich möchte nicht vergessen, was ich in der OJC durch das tägliche Leben, die Stille, die Arbeit, das Kennenlernen der anderen, das Austauschen, und auch durch die einfachen Worte des liturgischen Mittagsgebetes lernen durfte: „Wir gehören dir. Unsere Zeit steht in deinen Händen.“
Jede Ausgabe dieser Zeitschrift können Sie kostenfrei bestellen. Bitte mailen Sie an versand@ojc.de oder rufen Sie an: 06164-9308-320.
Auch künftige Ausgaben vom Salzkorn (erscheint vier Mal im Jahr) senden wir Ihnen gerne zu. Sie können unsere Zeitschriften gerne kostenfrei hier abonnieren.
Helfen Sie uns mit Ihrer Spende, christliche Werte und eine kritisch-konstruktive Auseinandersetzung mit Strömungen der Zeit auf der Grundlage des Evangeliums an nachfolgende Generationen zu vermitteln.