„Bilderstürmer mit einer Begeisterung für die Kunst der Renaissance: Welch ein Zwiespalt!“ – konstatierte Prof. Elisabeth Schröter, die mich über die Malerei des Florentiner Quattrocento prüfen sollte, die Tatsache, dass wir beide in einem reformierten Pfarrhaus aufgewachsen waren und uns den puritanischen Ahnen – sie den Hugenotten, ich den ungarischen Predigern – durchaus verbunden fühlten.
Jüngst wurde ich abermals, diesmal ohne Augenzwinkern, als Bilderstürmer identifiziert. Ich hatte die von Richard Harvey gestartete Petition für die Entfernung der „Judensau“, des Schmähreliefs1 an der Fassade der Wittenberger Stadtkirche, unterschrieben2 und dies auf einer Internetseite begründet. „Bilderstürmer“ war noch ein Kompliment im Vergleich zur Beschimpfungen als „Taliban“, die fanatisch kulturelles Welterbe zerstöre.
Die meisten, die sich für den Verbleib des „Welterbes“ am Originalort stark machen, haben freilich stichhaltigere Argumente. Das stärkste ist die vom vormaligen Wittenberger Schlosskirchenprediger Friedrich Schorlemmer ins Feld geführte Erinnerungskultur, die durch den Erhalt materieller Artefakte bezeugt, welch verheerende Folgen die irrwitzige Selbstüberhebung, erst recht von Seiten sich fromm dünkender Christen, haben kann. Die Geste der Sühne repräsentiere ein Bodenrelief mit dem Eingeständnis der Schuld und einem Bußvers, das die Gemeinde bereits am 11. November 1988 vor der Kirche anbringen ließ.
Im Vorfeld der Reformationsfeierlichkeit wurden Stimmen laut, dass dies nicht hinreichend ist. In der neu entfachten Debatte gibt es schrille, unnötig polarisierende Töne, die der Komplexität der Sache nicht gerecht werden, aber auch sanfte, die das gemeinsame Ringen um eine würdige Erinnerungskultur betonen.3 Ich selbst zögerte auch, meinen Namen unter die Petition setzten, und fragte mich: Was würde sich verändern, wenn das Relief anderswo zugänglich an dunkle Zeiten mahnte. Ich fand mich damit ab, als der Stadtrat beschloss, dass die Sau bleibt.
Schwer tue ich mich aber damit, dass sich die Diskussion weitgehend um deutsche und evangelische Befindlichkeiten dreht, während das von jüdischer Seite deutlich und prominent geäußerte Unbehagen am Status quo so gut wie keinen Widerhall findet. Im Gegenteil: die FAZ titelte unsensibel: „Tyrannei der Beleidigten“4, womit sie freilich nicht den Zentralrat der Juden meinte, sondern 'lediglich' den Initiator der Petition, dessen jüdischen Hintergrund der Kommentator jedoch geflissentlich überging. Stattdessen sortierte er ihn kurzerhand den „radikalisierten politischen Splittergruppen“ zu, wie etwa die, die im Wahn politischer Korrektheit die Drei-Mohren-Straße in München kurzerhand in Drei-Möhren-Straße umbenannt hatte.
Wie beharrlich man aneinander vorbeiredet, zeigt der Kommentar der in den Medien viel zitierten 'Wittenberger Rentnerin': „Die [Petenten] sagen, die Schmähplastik verhöhnt Juden. Wir sagen: Was vor 700 Jahren Kirchengeschichte an die Kirche kam, das lassen wir als Stachel im Fleisch.“5 – Aha. Nur: in wessen Fleisch?! Während wir als Nachfahren der Täter das erprobte Arsenal historisch-künstlerisch-intellektueller Distanzierungen auffahren können, bleibt den Juden, die sich durch die Skulptur verhöhnt sehen, der fragwürdige Trost, dass es uns leid tut, wir ihnen die Sauerei aber um unserer Seelenhygiene willen weiterhin zumuten. Latent schwingt dabei die Unterstellung mit, der Verbleib der Statue – und damit des „Stachels“ – sei letztlich vitales Interesse der Juden.
Mal davon abgesehen, dass der sprichwörtliche Stachel (2. Kor 12,7) für eine unbehebbare Irritation steht, die der Mensch höchstens als von Gott auferlegt hinnehmen, nicht aber in Selbstumkreisung zelebrieren sollte, wäre auch das hier zutage tretende Verständnis von unseren Gotteshäusern zu hinterfragen. Gut, wenn Kirchen – von ihrer geistlichen Widmung unabhängig – als Kulturerbe geschützt und auch von den Gemeinden, die sie bewohnen, gehegt werden. Doch sollte nicht unser Sinn für historische Artefakte, inklusive dessen, was sie motiviert bzw. was sie geistlich ausgetragen haben, uns vergessen lassen, dass die Kirchenfassade stets ein Medium der Verkündigung an die Welt darstellt – erst recht im weitgehend ‚entchristlichten’6 Wittenberg, und erst recht im Jahr der Reformation. Freilich gehört das Eingeständnis von Schuld dazu; aber warum nicht anstelle der immer noch toxisch wirkenden Obszönität, sondern lediglich als ihre elegante Rahmung?
Dieser Frage folgen weitere:
Ein Festhalten am Verbleib der Skulptur ignoriert zudem sämtliche biblischen Vorbilder, die sich mit einer folgenschweren geistlichen Verunreinigung des Glaubens konfrontiert sahen. Hartgesottene Bilderstürmer könnten sich, wenn sie es darauf anlegten, nicht allein auf den apokryph dokumentierten Makkabäeraufstand berufen, dessen Höhepunkt die Entsorgung der Zeus-Statue aus dem Heiligtum war, sondern vor allem auch auf die große Reformleistung eines König Josiah. Der hatte alles aus dem Tempel entfernen lassen, was Gott nicht ehrt und „hat getan, was dem HERRn wohlgefiel, ... und wich weder zur Rechten noch zur Linken.“ Jesus selbst hat die Gerätschaften der Händler und Wechsler auch nicht mit Schildern des Bedauerns kommentiert, sondern wählte eine drastischere Zeichenhandlung.
Wir Petenten rufen aber gar nicht zum Bildersturm, schon gar nicht zur Säuberung sämtlicher Kirchen von sämtlichen auf ihnen auffindbaren antisemitischen Darstellungen, wie uns unterstellt wird. Es ging und geht uns hier um eine exemplarische, eine stellvertretende Zeichenhandlung, um eine Geste zu Menschen jüdischer Herkunft und mosaischen Glaubens hin. Die Festivitäten in Wittenberg böten Gelegenheit, sie unter den Augen der christlichen und nicht-christlichen Weltöffentlichkeit zu vollziehen. Es geht eben nicht um uns: um unsere Schuld, um unsere Sühne, um unsere Sau und unseren Stachel; es geht um Versöhnung! Es geht darum, der erneut zunehmenden Stigmatisierung von Juden geistlich klar und vernehmbar entgegenzutreten und den Kairos auszukaufen, denn es ist wieder böse Zeit.
Nicht zuletzt sollte es für die Kirche der Reformation selbstverständlich sein, dass auch die Verkündigung – ob auf der Kanzel oder auf der Kirchenfassade – stets der beherzten Reinigung von allem an ihr haftenden Unrat des Zeitgeistes bedarf. Das wäre puritanisch im besten Wortsinne.
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