Klare Zusage – starke Absage

Ein Ruf zum offensiven Christsein

Predigt am Tag der Offensive 2017 zu 1 Kor 3,11

Wir befinden uns mitten im Reformationsgedenktrubel. In den letzten Wochen habe ich mich manchmal gefragt, wie Martin Luther das alles sehen würde. Seine Antwort wäre vielleicht: „Naja, so lala...“ – um es mit eurem Motto für den Festtag zu sagen. Nein, er hätte deutlicher gesprochen, vielleicht sogar gepoltert: Lasst mich doch aus dem Spiel! Es geht um Christus, um die Schrift, um das Vertrauen zu ihm, um ein Leben im Anschluss an ihn und die Bewährung unseres Glaubens in der Zeit, die uns anvertraut ist. Mit seinen Worten: Deshalb bitte ich, man wolle meinen Namen verschweigen und sich nicht lutherisch, sondern Christen heißen ... Wie käme denn ich armer, stinkender Madensack dazu, dass man die Kinder Christi sollen mit meinem heillosen Namen nennen ... Ich bin und will niemandes Meister sein. Ich habe mit der Gemeinde die einige und gemeinsame Lehre Christi, der allein unser Meister ist (WA 8, 685). Solus Christus – nicht beliebig, nicht eingeschränkt, sondern entschieden und eindeutig. Reformation war und ist ein Ruf zur Mitte und zugleich ein Ruf nach vorne – in die Offensive.

Die klare, zugespitzte Rede hatte Luther mit dem Apostel Paulus gemeinsam. Wenn es um lebensverändernde Dinge geht, neigen wir dazu, im Konjunktiv zu reden: Ich sollte eigentlich ein bisschen mehr Sport treiben, netter sein, diszi­plinierter ... Das färbt auch auf das Geistliche ab: Wir sollten eigentlich im Glauben ein bisschen konsequenter werden, öfter mal an Gott denken etc. Im Konjunktiv unserer Tage hätte Paulus den Korinthern vielleicht so geschrieben: Liebe Brüder, die ihr euch so oft streitet, könntet ihr euch nicht ein bisschen mehr an Jesus orientieren und ihn irgendwie zu eurem Maßstab machen, wäre das nicht ein Stückchen Lebenshilfe? Nein, Paulus ist anders. Nichts bleibt in der Schwebe, stattdessen klare Kante: Einen andern Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus (1 Kor 3, 11). Das macht das Christsein aus! Der Grund ist gelegt. Dieser Grund ist eine Person: Jesus Christus. Auf ihn kann man sich verlassen. Seine Liebe ist gewiss. Das prägt unser Leben. Wenige Verse zuvor sagt er: „Ich hielt es für richtig unter euch, nichts zu wissen als allein Jesus Christus den Gekreuzigten“ (1 Kor 2,2). In dem gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus gründet sich das Leben von Christen. Da begegnet uns Gott mit ausgebreiteten Armen. Diese Erfahrung verändert alles. Reformation heißt Rückkehr zur Formation, gesunde Besinnung auf das, was trägt, Rückkehr zu dem, was weiter tragen wird: Jesus, sein Wort, seine Gnade, der Glaube. Luther und die anderen Reformatoren – ­Calvin, Zwingli, Melanchthon – haben sich nie selbst als Reformatoren bezeichnet. Sie wussten, es ist letztlich Gottes Sache, wir müssen uns an ihn halten. Was die Reformatoren neu entdeckt und für die Gemeinde erschlossen haben, hatten sie aus der Bibel. Gott hatte ihnen sein Wort neu und eindrücklich aufgeschlossen. Die Reformation war und bleibt eine Bibelbewegung.

Bei unserem Leitwort in 1 Kor 3,11 geht es um Bewährung des Glaubens im Konflikt und in der Krise. Es ist ein Weckruf und hat eine dreifache Dimension:

1. Klare Absage: Keiner kann einen anderen Grund legen

Es gab Ärger in Korinth. Der Virus des Vergleichens hatte die Gemeinde ergriffen. Apollos, Paulus, Petrus – wer ist der Größte? Wer hat den besseren Beitrag zum Gemeindebau geleistet? Falsche Frage, sagt der Apostel. Wir sind alle gleich – niedrig. Es ist Gottes Bau, er hat uneingeschränkten Eigen­tumsanspruch, wir sind nicht die Besitzer, nur Mitarbeiter auf Zeit, mit unterschiedlichen Aufgaben. Aber immerhin, wir sind Mitarbeiter Gottes. Und da kommt es auf die Grundlage an – auf Jesus Christus, den Herrn. Das ist gegen alle Selbstüberschätzung gesagt. Klare Absage an alle eigenmächtigen Projekte und allen Personenkult. Sich Christ zu nennen ist ein anspruchsvolles Bekenntnis. Er soll sichtbar werden in unserem Leben. Die Gefahr ist, dass wir uns zu wichtig nehmen und meinen, wir würden die Sache mit dem Reich Gottes schon schaukeln. Da ist es gut zu wissen, dass im Korintherbrief weitere, noch ernstere Worte folgen: Was wir „bauen“, muss durchs Gericht hindurch. Es muss die Feuerprobe bestehen. Dann wird sich erweisen, auf welchem Grund wir gebaut haben (1 Kor 3, 12 ff).

Es ist damit auch ein Wort gegen die vielfältigen Formen unserer Selbstverliebtheit. Der New ­Yorker Pastor Tim Keller bringt es auf den Punkt: (Diesen Hinweis verdanke ich Michael Herbst.) Viele sagen: Ich brauche Gott und seine unverdiente Gnade nicht, weil ich lebe, wie ich leben soll. Ich weiß, was ich zu tun habe, und das tue ich nach besten Kräften und bestem Gewissen. Unser Herz ist auf Werkgerechtigkeit eingestellt – auch so kann man das Evangelium von sich fern halten und auf falschen Grund bauen und läuft Gefahr, Christus am Ende gar nicht mehr zu benötigen. Wir meinen, wir machen das schon richtig und sind dabei ganz und gar mit uns selbst beschäftigt. Jesu Antwort: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun“ (Joh 15, 5). Unverzichtbar und ausschließlich: An ihm hängt alles, ohne ihn ist alles nichts.

2. Starke Zusage: Der Grund ist gelegt

Paulus schaut zurück auf das, was Gott bereits getan hat. Die Freiheit, von der im Zusammenhang des Reformationsgedenkens so häufig die Rede ist, gründet in einer Befreiung. Sie ist christologisch zentriert. Frei sind wir, wenn Christus uns befreit hat; und befreiend wirken wir, wenn wir von Christus gehalten werden. Es lohnt sich darum, im Reformationsgedenkjahr die große Schrift Luthers „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ neu zu entdecken. Ein Christenmensch ist von Christus erworben – und darum ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan. Und weil er zu Christus gehört, darum und nur darum kann er dann auch ein dienstbarer Knecht und jedermann untertan sein. Die alte Sprache mag an einigen Stellen gewöhnungsbedürftig sein, aber die Grundaussage ist nach wie vor aktuell. Luther wählt das eindrückliche Bild von Braut und Bräutigam und einem fröhlichen Tausch: Das, was Christus hat, das ist Eigentum der gläubigen Seele; das, was die Seele hat, wird Christi Eigentum. Hat Christus alle Güter und alle Seligkeit, so sind sie der Seele eigen; hat die Seele alle Untugenden und Sünden auf sich, so werden sie Christi Eigentum. Hier hebt nun der fröhliche Tausch an ... Wenn nun er die Sünden der gläubigen Seele ... sich selbst zu eigen macht und geradeso tut als hätte er sie getan ...,­ so müssen sie in ihm verschlungen und ersäuft werden ... So wird die Seele ... von allen Sünden los und frei und mit der ewigen Gerechtigkeit ihres Bräutigams Christus begabt.

Das ist die Freiheit des Evangeliums, die Überwindung von Schuld und Tod. Eine starke Zusage – sie verändert alles! Ergänzen möchte ich das mit einem weiteren Zitat: Die Freude des Evangeliums erfüllt das Herz und das gesamte Leben derer, die Jesus begegnen. Diejenigen, die sich von ihm retten lassen, sind befreit von der Sünde, von der Traurigkeit, von der inneren Leere und von der Vereinsamung. Mit Jesus Christus kommt immer – und immer wieder – die Freude. Diesmal nicht von Luther, sondern von Papst Franziskus. Es sind Einleitungssätze seines Apostolischen Schreibens „Evangelii Gaudium“ (2013, S. 7). Das Evangelium der Freude. Allein Christus!

Kein Aspekt des Christusbekenntnisses wird heute so stark in Frage gestellt wie dieses „Allein“, die Einzigartigkeit Jesu Christi. Soll er der alleinige Weg sein, der Erlöser, der Weg zu Gott? Jesus ja, aber... Ist er nicht nur und vor allem ein Vorbild, ein Orientierungspunkt? Ja, er ist Lehrer und Vorbild. Aber das kann und darf er nur sein, weil er viel mehr ist. Das Neue Testament ist da eindeutig und unmissverständlich. Er hat uns Gott verkündigt – heißt es im Johannesprolog 1,18: Niemand hat Gott je gesehen; der Eingeborene, der Gott ist und in des Vaters Schoß ist, der hat ihn uns verkündigt – wörtlich: er – und nur er – hat ihn uns ausgelegt – exegesato – Jesus, die Exegese Gottes! Das macht ihn einzigartig. Er hat uns mit Gott versöhnt. Es war und ist Gottes Sache – ­
er hat seinen Rettungsweg an Jesus Christus gebunden. Es geht nicht nur um Orientierung an ihm, sondern um das Leben aus ihm. Nicht Glaube wie Jesus – sondern Glaube an Jesus – das ist die Grundaussage des Neuen Testaments. Und hier scheiden sich die Geister, nicht nur zur Zeit des Apostels Paulus und zur Zeit der Reformatoren, sondern auch heute.

Das schwingt alles mit, wenn Paulus von dem ­bereits gelegten Grund spricht: Solus Christus, er allein trägt dich und mich, wenn die Krisen­ ­kommen, die eigenen Kräfte versagen, die ­Anfechtungen überhandnehmen. Wer das weiß, kann gelassen leben. Gordon MacDonald zitierte einmal den Brüssler Kardinal Daneels: Am Ende eines langen Tages gehe ich in die Kapelle und bete. Ich sage zum Herrn: „Das war es für heute, ich habe alles erledigt. Aber jetzt mal unter uns – gehört diese Diözese mir oder dir?“ Der Herr fragt dann zurück: „Was denkst du?“ Ich antworte: „Dir, würde ich sagen.“„Du hast recht“, antwortet der Herr. „Sie gehört mir“. Also sage ich: „Nun gut, Herr, dann ist es jetzt an der Zeit, dass du Verantwortung übernimmst und das Ruder für diese Diözese in die Hand nimmst. Ich gehe nämlich jetzt schlafen.“

Allein Christus – klare Absage, starke Zusage. Das Wort weist nach vorne, es ist schöpferisch, es weckt Erwartung. Der gekreuzigte und auferstandene Jesus ist auch der erhöhte Herr.

3. Verpflichtende Ansage: Der gelegte Grund ist Jesus Christus

Auffällig ist, dass Paulus hier den Doppelnamen gebraucht: Jesus Christus. Das ist kein Zufall, denn das Solus Christus hängt daran: Jesus – der persönlich zugewandte Gott, Jeschua, der „Gott hilft“; Christus – der Gesalbte, der Messias, der von Gott Bevollmächtigte, der Sünde vergibt und Versöhnung schafft. Beides gehört zusammen: Beziehung und Hoheit, Freund und Herr, Bruder und König. Er ist der Herr der Kirche, der es persönlich meint und zugleich alle Welt umfasst. Daraus wächst eine verpflichtende Ansage.

Wir kommen von Ostern her. Die Hoffnung der Auferstehung darf und muss uns Christen prägen. Luther hat dafür in seiner Römerbriefauslegung, wo es um die politische und gesellschaftliche Verantwortung der Christen geht (Kap. 13), ein Bild verwendet. Er spricht vom morgendlichen Evangelium: Man meint wohl, dass das Evangelium die Leute faul mache. Damit ist es nichts. Sie wollen aus dem Evangelium einen Abend machen, wir machen es zu einem Morgen... Das Evangelium ist ein morgendliches Evangelium. Da sind die Prediger wie Hähne, die mahnen und treiben, dass jedermann seine Pflicht tue. Es ist ein anderes Wesen mit uns; wir sind nicht mehr in der Nacht, wir schlafen nicht mehr. Das Evangelium von Jesus Christus provoziert. Pro-vozieren heißt herausrufen, aufrütteln – nach vorne weisen. Nicht das eigene kleine, private Glück suchen, sondern das, was ihn ehrt, was diesem Evangelium entspricht und was die gesunde, heilende Kraft des Reiches Gottes in diese Welt trägt. Das ist auch euer Erbe als OJC, auch da, wo ihr mit eurem Dienst Anstoß bereitet und Gegenwind erfahrt. Danke dafür, dass ihr das Wort Christi ernst nehmt, bleibt da dran!

Zum Schluss eine vermutlich gut erfundene ­Luther-Anekdote mit einer tiefen Wahrheit: ­Eines Tages soll der Teufel in Wittenberg bei Luther an der Pforte geklopft haben. Luther öffnet oben ein Fenster und fragt hinunter, was es gäbe. Wohnt hier der Luther …? tönt die Frage hinauf. Nein!, ruft Luther hinunter, schon lange nicht mehr, hier wohnt der Herr Christus! Da hat sich der Teufel schleunigst aus dem Staube gemacht!

Wo das „Allein Christus“ geglaubt und bekannt wird, muss der Böse mit all seinen Einflüssen weichen. Da kommen wir aus der Beliebigkeit heraus, da haben wir festen Grund unter den Füßen. Er ist der Herr.

Von

  • Gernot Spies

    ordinierter Pfarrer der Kirche Berlin-Brandenburg und Generalsekretär der Studentenmission Deutschland (SMD)

    Alle Artikel von Gernot Spies

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