Gebet – Ort der Unterbrechung

Hirtenwort zum Hirtenpsalm am Himmelfahrtstag 2018

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde!

Zunächst danke ich sehr herzlich für die Einladung und die Gastfreundschaft. Ich bin gerne gekommen und gratuliere sehr herzlich zum 50-jährigen Bestehen. Die 60er Jahre waren ja in vielfältiger Hinsicht eine Zeit für Aufbrüche: Liberalisierung, Modernisierung, auch in der Kirche und auch geistliche Aufbrüche, bei Ihnen unter Aufnahme von Ideen Dietrich Bonhoeffers für ein gemeinsames Leben. Sie haben schöne, interessante, anstrengende, spannende Zeiten erlebt. Ich wünsche Ihnen von Herzen Gottes Segen für die kommenden Jahre.

Danken-tanken-durchstarten, das ist das Motto­ dieses Tages. Bei dem Bild mit der Zapfsäule musste ich an einen alten Witz denken. Eine ­Nonne fährt mit ihrem Auto auf der Landstraße. Da geht ihr das Benzin aus. Leider hat sie keinen Benzin­kanister dabei. Aber im Straßengraben liegt ein alter Nachttopf. Zum Glück ist es zur nächsten Tankstelle nicht weit. Sie füllt ein paar Liter Benzin in den Nachttopf und läuft zurück zu ihrem Auto. Als sie gerade dabei ist, das Benzin in den Tank zu füllen, hält ein Auto neben ihr. Der Auto­fahrer kurbelt das Fenster herunter und sagt: „Schwester,­ ihren Glauben möchte ich haben.“ Der Witz trifft die Wirklichkeit ziemlich gut, denn unser Glaube ist ja ein Wagnis. Wir glauben, dass sich die Wahrheit über das Leben, die Welt und den Menschen am Kreuz eines von den Römern hingerichteten jüdischen Laienpredigers gezeigt hat. Und doch, inmitten all dessen, was wir im Leben erleben, spüren wir Gottes Nähe. Wie es im 23. Psalm heißt: Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein.

Der 23. Psalm hält Bilder der Sehnsucht bereit: Gott als Hirte, als Gastgeber, als Haus, als guter König, grüne Auen, frisches Wasser, ein voll­gedeckter Tisch, übervolle Becher, und das inmitten der Welt. Er hält die Balance zwischen Sehnsucht und Wirklichkeit. Als Christen erleben wir immer beides: Bedrohung von außen, schweres Leben der Hirten und das Gefühl, da ist jemand, der mich trägt. Was sind heute Bedrohungen? Krank­heiten, Streit in der Familie, Frust am Arbeitsplatz, das Gefühl, so kann unsere Lebensweise nicht weitergehen. Wir stehen vor einem epochalen Umbruch, fossile Brennstoffe, Klimawandel, Bevölkerungswachstum, soziale Gerechtigkeit, alles ändert sich, es herrscht große Verunsicherung.

Wie kommen wir an den Tisch des Herrn? Der Ort, an dem das zusammenkommt, ist das Gebet. Was passiert im Gebet? Wir unterbrechen unsere Lebenssituation, ziehen uns zurück aus unserem Alltag und treten vor Gott. Das Falten der Hände und das Schließen der Augen sind sichtbare Zeichen für diese zeitweilige Abkehr. Der Theologe Gerhard Ebeling beschreibt das Gebet als eine Bewegung hinein in die unter allem verborgen liegende Grundsituation des Lebens, die Situation, die allen Lebenssituationen als Fundament zugrunde liegt. Diese Besinnung ermöglicht eingespielte Alltagsroutinen und Handlungsmuster zu unterbrechen, sich und sein Leben quasi von außen zu betrachten und es auf seine Sinnhaftigkeit hin zu überprüfen. So besteht die Chance, dass wir erkennen, wo wir besinnungslos in sinn­losen Handlungsschleifen gefangen sind und neu anfangen müssen. Das Gebet ist ein Ort der Unter­brechung, der Besinnung und der Erneuerung, der Ort, an dem wir uns voll einschenken lassen.

Das Gebet bleibt nie folgenlos, aber was dann ­passiert, kann sehr unterschiedlich sein. Für Dietrich Bonhoeffer ergaben sich aus dem Gebet starke politische Impulse, die ihn in den Widerstand führten. Für Ihre Gemeinschaft ergaben sich starke Impulse für die Bildungsarbeit mit jungen Menschen. Immer aber geht es um die drei Dimensionen des Lebens: Halt-Haltung-Verhalten. Bei Ihnen sind das die drei überfließenden Schalen eines römischen Brunnens.

Unternehmen richten ihre Arbeit nach dem aus, was sie bewirken wollen. Sie setzen sich Ziele im Blick auf Umsatz und Gewinn und planen dann von da aus ihre Aktivitäten. Und über die Politik hat Helmut Kohl einmal gesagt: „Entscheidend ist, was hinten rauskommt.“ In der Kirche ist es jedoch umgekehrt. Entscheidend ist, womit Christen anfangen, nämlich damit, sich im Gebet darauf zu besinnen, was ihnen Gott zugesprochen hat, ihm dafür zu danken und für andere Menschen zu bitten.Was daraus wächst oder nicht wächst, das legen sie vertrauensvoll in Gottes Hände.

Was macht ein Franzose, wenn er in Rente geht? Er trinkt einen Cognac und geht zu seiner Freundin. Was macht ein Engländer, wenn er in den Ruhestand eintritt? Er trinkt einen Whisky und geht auf die Rennbahn. Was macht ein Deutscher? Er nimmt seine Herztropfen und arbeitet weiter.

Ich wünsche der Offensive Junger Christen, dass das bei Ihnen in den kommenden 50 Jahren anders sein möge, dass Sie Stille, Besinnung und Gebet pflegen und sich jeden Tag aufs Neue voll einschenken lassen, Ihnen selbst und dieser Welt zum Segen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle ­Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Von

  • Christoph Meyns

    Dr. theol., seit 2014 Landesbischof der Evangelisch-lutherischen Landeskirche in Braunschweig und seit Juni 2016 "Beauftragter für den Kontakt mit den Kommunitäten, Schwestern- und Bruderschaften" in der EKD

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