Ursula Räder lebt im 9. Jahr in der OJC. Sie leitet und organisiert hauptamtlich die Bibliothek der Gemeinschaft, arbeitet auch im Gästehaus Tannenhof und engagiert sich in der Begleitung der Freiwilligen.
Ich hätte gerne geheiratet, Familie und Kinder gehabt.
Es gibt Menschen, die Gott beruft zur Ehelosigkeit, die das schon früh spüren und entscheiden. Ich kenne solche Menschen und habe Respekt vor ihrer Lebensführung. Aber bei mir war das nicht so.
Im Gegenteil, ganz tief in mir drin saß eine Überzeugung: "Ich werde irgendwann heiraten!" Diese Überzeugung war mir zunächst gar nicht bewußt. Es schien eben das Normale zu sein. Man braucht sich ja nur umzusehen im eigenen Bekanntenkreis oder wie es in Filmen und Büchern geht... So habe ich es irgendwie stillschweigend erwartet: irgendwann wird mir dieses Glück wie eine reife Frucht in den Schoß fallen! Und schließlich gibt es ja auch noch andere aufregende Sachen im Leben: berufliche Herausforderungen, geistliches Wachsen, interessante Menschen - da gab es viel zu entdecken und das hat auch Spaß gemacht.
Manchmal gab es schon Phasen von Einsamkeit, von Sehnsucht nach Zärtlichkeit, manchmal kam das Bedürfnis, mich irgendwo anzulehnen wie eine Flutwelle über mich. Auch die Bemerkungen meiner Familie, aus dem Freundeskreis bzw. aus der Gemeinde waren nicht immer so leicht abzuschütteln: "Eine Frau wie du, das dürfte doch nicht so schwer sein, jemanden zu finden...?!" "Sind die Männer denn blind?"
Schlimmer war aber die Verunsicherung in mir selbst. Oft nagte die Frage an mir: "Stimmt irgendwas nicht mit mir?", und das öffnete die Tür für quälende Selbstzweifel, Versagensängste und Minderwertigkeitsgefühle.
Das Ganze gipfelte - und das waren die schlimmsten Momente - im offen formulierten Vorwurf an die Adresse Gottes: "Du enthältst mir etwas Wesentliches vor! Warum gibst Du mir das nicht, wonach ich mich so sehne?"
Ja, jetzt ist es so richtig schön dramatisch - und Ihr fragt Euch wahrscheinlich, wie es von dieser Seelenlage zu der zweiten Behauptung kommen kann:
Das war in der Tat ein längerer Prozeß, ein Weg mit vielen kleinen und größeren Schritten, auf dem ich durchaus noch unterwegs bin.
Zwei von den "größeren Schritten", zwei folgenreiche Erlebnisse, möchte ich gerne kurz erzählen.
Das eine - heute würde ich sagen, es war der Punkt, von dem aus dieser Weg seinen Anfang genommen hatte, - war das Scheitern einer für mich hoffnungsvollen Beziehung. Wir waren bereits verlobt und ich wollte diesen Mann unbedingt heiraten, bin mit großer Entschlossenheit und Zielstrebigkeit darauf zugegangen, auch mit der Überzeugung, daß Gott uns führt. Und dann wurden die Schwierigkeiten so unüberwindlich, daß wir die Beziehung abbrechen mußten. Ich will hier jetzt nicht auf das Warum und Wie eingehen: Tatsache ist, die Sache ist gescheitert, und das war sehr leidvoll und schmerzlich.
Man spricht ja in solchen Fällen von "gebrochenem Herzen" und tatsächlich denke ich, da ist etwas in mir zerbrochen. Aber nicht mein Herz, sondern vielleicht so etwas wie eine hartgewordene Kruste aus Selbstzufriedenheit, Idealvorstellungen von mir und meinem Leben, Illusionen über Liebe und Partnerschaft - ja, auch mein Gottesbild: Wenn ich tue, was ihm gefällt, dann hat er mich gefälligst zu segnen, und das heißt in meiner Vorstellung, mir Erfolg zu schenken.
Diese Kruste ist zerbrochen durch das leidvolle Erleben - und das war gut. Denn an den Trümmern vorbei konnte Gott mit seiner Liebe jetzt viel besser an mein Herz herankommen, da wo es weich und verletzbar und empfänglich ist. Da konnte er jetzt echtes Vertrauen aufbauen. Für mich ist die banale Wahrheit: Gott liebt mich! - seither nochmal in einer ganz anderen, tieferen Weise spürbar und erfahrbar geworden.
Ich möchte damit keine Werbung für gescheiterte Beziehungen machen, aber vielleicht doch zu der Frage anregen: Gibt es in meinem Leben solche schweren Erschütterungen? Und könnte es vielleicht sein, daß Gott da eine neue oder verstärkte Art von Zugang zu mir sucht?
Eine andere Situation, in der mir die Frage nach Ehe ganz akut wurde, war die Phase der Annäherung an die OJC-Lebensgemeinschaft. Ich wußte: wenn ich mich auf diesen Weg in die Gemeinschaft mache, dann braucht das meine ganze Aufmerksamkeit und Energie und fordert meine ganze Existenz. Ich kann dann nicht gleichzeitig etwas suchen, was mich herausführen würde. Es sind zwei verschiedene Richtungen und wenn ich die Richtung zur Gemeinschaft einschlage, dann sinken die Chancen für eine Ehe erheblich.
Das war mir sehr bewußt und ich habe mir in dieser Zeit viele Gedanken gemacht, mit Freunden gesprochen, ältere Frauen in der Gemeinschaft gefragt, bis hin zu der Überlegung, es noch einmal ganz konkret mit einem christlichen Partnerschaftsdienst zu versuchen, "weil man" - wie eine Freundin sagte - "das Thema doch nicht in der Theorie abhandeln kann!"
Aber das Entscheidende ist passiert, als ich es irgendwann mal gewagt habe, den Gedanken zuzulassen: "Es könnte sein, wenn ich jetzt mein volles Ja zur Gemeinschaft sage, daß ich gar nicht mehr heirate!" Ich habe diesem Gedanken ganz vorsichtig die Tür geöffnet und ihn nicht gleich wieder rausgeworfen, sondern in Ruhe zu Ende gedacht - und mich auf einen inneren Gefühlssturm eingestellt.
Zu meiner größten Überraschung war nicht Panik die Folge, sondern Erleichterung und ein Gefühl der Freiheit. Ein Bann war gebrochen, unter den ich mich selbst gestellt hatte: "Das darf dir auf keinen Fall passieren! Du mußt es schaffen!"
Und jetzt kamen auf einmal Gedanken wie: Was ist eigentlich so schlimm daran, nicht verheiratet zu sein? Ging es mir so schlecht all die Jahre? Hat Gott mich vernachlässigt? War mein Leben nicht erfüllt? Bin ich weniger wert?
Wenn ich mir das alles nüchtern und in Ruhe überlege, dann komme ich bei jeder dieser Fragen zu einem klaren Nein!
Es stimmt, daß ich manches entbehre: sexuelle Intimität, die Geborgenheit einer festen, langjährigen Partnerschaft; ja, da ist die Realität der inneren Kämpfe um mein schwankendes Selbstwertgefühl, und es stimmt auch, daß es schwer ist, mich durch viele Fragen und Situationen alleine durchfinden zu müssen.
Aber eine Ehe ist auch keine Garantie dafür, daß ich diese Schwierigkeiten nicht hätte. Diesen Gedanken zuzulassen: "Es könnte sein, daß ich gar nicht mehr heirate!" - das hat mir die Freiheit gegeben, meine tiefsten Wünsche, von denen ich anfangs sprach, loszulassen und ganz ehrlich in Gottes Hände zu legen. Aus der Überzeugung hatte ja zutiefst ein Herzenswunsch gesprochen, und den habe ich sozusagen in Gottes Obhut gegeben.
Das heißt nicht, daß der Wunsch damit gestorben wäre. Im Gegenteil: Ich habe diesen Wunsch nach Ergänzung, die Sehnsucht nach dem Gegenüber eigentlich erst richtig anerkannt als etwas schöpfungsmäßiges, etwas, was Gott selbst in mich hineingelegt hat. Deshalb muß ich es nicht ausrotten mit Stumpf und Stiel, nicht abschneiden und mich dafür schämen. Aber die Sehnsucht hat einen anderen Platz bekommen: in Gottes Händen.
Und ich bin zu einer neuen Überzeugung gekommen: Diese Sehnsucht, die Gott selbst in mich hineingelegt hat, ist für etwas gut - auch wenn sie nicht in die übliche Form der Ehe führt. Und da bin ich auch bei der dritten Behauptung:
"Single" im Wortsinn von neutrales, vereinzelt lebendes Wesen - das bin ich nicht. Ich lebe nicht vereinzelt, sondern eingebunden in ein Netz von tragenden Beziehungen und ich bin auch nicht neutral, sondern eine Frau. Ich habe die Gefühle, Bedürfnisse und Denkweisen einer Frau - was bedeutet das? Das will gestaltet werden!
Wer aufmerksam gelesen hat, konnte schon einige "Basics" entdecken, die nach meiner Erfahrung wesentlich sind, um glücklich unverheiratet zu sein.
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