OJC – Den Sonntag begrüßen – Anregungen zum gemeinsamen Feiern mit Familie und Freunden, von Klaus Sperr

Den Sonntag begrüßen

Liturgie

Anregungen zum gemeinsamen Feiern mit Familie und Freunden
Von Klaus Sperr

Feiern ist die schönste Art, sich einem Geheimnis zu nähern. Und der Sonntag ist ein Geheimnis. Kein Rätsel, das es zu lösen gilt, sondern ein Geheimnis, in das man sich einfühlen muss, um zu erspüren, welches Geschenk es beinhaltet. Deshalb feiern wir in unserer Gemeinschaft regelmäßig das Fest der Sonntagsbegrüßung, das seine Wurzeln in der uralten jüdischen Tradition der Sabbatbegrüßung hat. Das Wort Sabbat kommt vom hebräischen shavat und bedeutet aufhören, ruhen. Gott kommt am Höhepunkt seiner Schöpfung an, indem er aufhört, ruht, loslässt. Im Sabbat fand Seine Schöpfung ihr Ziel.

Genießen braucht Genossen

Mit unserer Feier wollen wir Christen unseren jüdischen Geschwistern nichts wegnehmen. Im Gegenteil: dankbar und demütig lernen wir von ihnen, was es heißt, die Schöpfung und den Schöpfer zu feiern. Statt des siebten Tages feiern wir den ersten Tag, den Sonntag. Denn als Auferstehungstag Christi ist er für uns der Ausgangspunkt in die neue Woche hinein. Wenn wir feiern, ehren wir Gott. Und damit tun wir, was die alte Kirche so umschrieben hat: frui deo – Gott genießen!

Dazu gehört ein festlicher Rahmen: Sonntäglich gekleidete Menschen, gerne auch Gäste, denn – Genießen braucht Genossen! Die Sonntagsbegrüßung ist eine Familien- und Gemeinschaftsfeier.

Auf dem wunderschön gedeckten Tisch findet sich neben dem Geschirr zunächst nur Kerze, Brot und Wein.

Der Abend wird mit einem Loblied eröffnet. Und auch sonst wird an diesem Abend viel gesungen. Von unseren jüdischen Geschwistern habe ich gelernt: die Lieder zur Ehre Gottes machen unser Essen zu einem Gottesdienst!

Die Sabbatkerzen

Dann erhebt sich die Frau des Hauses. Sie eröffnet das Fest mit einem Segen für das Licht und entzündet die beiden Sabbatkerzen. Dass es zwei Kerzen sind, steht für die Dualität, in der wir leben: Tag und Nacht, Frau und Mann, Altes und Neues Testament, Leben und Tod – nur zusammen ergeben sie jeweils ein Ganzes. Wir dürfen lernen: Scheinbare Gegensätze und Spannungen sind nicht einfach aufzulösen. Sie gehören zusammen und wollen einander ergänzen. Je beides gehört zum Leben und darf – miteinander versöhnt – in der Spannung bleiben. Ich muss zu meinem Lebensglück nicht alles Spannende auflösen. Zwei Kerzen bedeuten für uns Christen aber auch: Schöpfung und Versöhnung – oder:

Es werde Licht“ und „Christus spricht: ich bin das Licht der Welt.

Wenn das Licht brennt, erhebt sich der Hausvater. Zunächst segnet er seine Kinder. Sie sollen spüren: ihr seid eingebunden in eine große Geschichte und Gott hat auch mit eurem Leben etwas vor. Anschließend gilt das Lob der Hausfrau und allen, die während der vergangenen Woche an verschiedenen Stellen für andere sorgten, auch sie erhalten einen Segen. Wir danken an dieser Stelle z.B. auch unserem Jahresteam, das unter der Woche viele, oft nur wenig wahrgenommene Dienste zum Wohl aller verrichtet.

Der überfließende Kelch

Brot und Wein sind nun die bestimmenden Bilder. Beides zusammen erinnert uns an die Grundnahrungsmittel im alten Israel und uns Christen natürlich an das Abendmahl. Auch hier nehmen wir wahr: Schöpfung und Versöhnung gehören zusammen. Der Wein symbolisiert Freude und Fülle. Jetzt kommt der feierlichste Moment der Sonntagsbegrüßung. Der Hausvater erhebt sein Glas und füllt es mit Wein – nicht halbvoll, auch nicht voll – nein, der Wein wird so lange eingeschenkt, bis das Glas überläuft! Ein ungewöhnlicher Anblick, für Kinder und Erwachsene gleichermaßen faszinierend.

Er zeigt uns etwas von der Art Gottes: wenn Gott uns einschenkt, wird unser Leben nicht nur halbvoll und auch nicht randvoll – nein, wir feiern einen großzügigen Gott, der uns überfließende Freude schenkt!

Danach schenken wir den Wein an den Tischen ein; und zwar keiner sich selbst – einer schenkt dem andern ein. Dabei spüren wir einmal mehr: niemand kann Wesentliches selbst machen oder sich geben – man kann es sich nur schenken lassen!

Während wir nun den Wein genießen, erzählen wir einander von dem Guten der vergangenen Woche. Wir wissen: erst der Dank macht aus der Gabe einen nachhaltigen Segen!

Die Heiligung des Sonntags

Noch einmal ergreift der Hausvater das Wort. Er spricht ein Gebet zur Heiligung des Sonntags. Bei Gott ist die Ruhe heilig. Das hat Israel schon immer von allen anderen Völkern unterschieden und ihnen gezeigt: egal wie mühsam die Woche war und wie bedrückend die Verhältnisse sind, wir sind keine Sklaven.

Gott macht uns – allen äußeren Umständen zum Trotz – zu freien Menschen!

Bei unseren jüdischen Geschwistern klingt das in ihrer Sabbatfreude so: „Freitag zur Nacht ist jeder Jud ein König! Das ganze Stübele lacht und alle Menschen sind fröhlich!“ Zur fröhlichen Freiheit gehört auch mal ein guter Witz. Jüdische Witze waren in den Jahrhunderten der Unterdrückung eine Waffe gegen die Resignation. Im sinnigen Unsinn blitzt eine tiefgründige Wahrheit auf. Wer über sich selbst lachen kann, kann sich wohltuender ernstnehmen.

Schließlich nimmt der Hausvater noch das Brot und spricht einen Segen darüber. Auf allen Tischen liegt eines, nur beim Hausvater sind es zwei. Sie erinnern an die Wüstenwanderung Israels nach dem Auszug aus Ägypten. Manna, das Himmelsbrot, durfte nur für den täglichen Verzehr gesammelt werden. Außer am Freitag, da durfte eine zweite Portion für den Sabbat genommen werden. Es erinnert uns bei jeder Sonntagsbegrüßung neu an die Tatsache, dass wir nicht ängstlich raffen müssen – wir dürfen Gott vertrauen: er versorgt uns alle Tage!

Mit dem alten fröhlichen Lied „Wir pflügen und wir streuen den Samen auf das Land (…) alle gute Gabe kommt her von Gott dem Herrn, drum dankt ihm, dankt!“ beginnen wir das leckere Abendessen, das jetzt aufgetragen wird.

Nun gilt der Sonntag, der Raum der Ruhe, als eröffnet. Ruhe bringt Frieden und eine befriedete Zeit macht das Leben zum Fest.

Klaus Sperr
Evang. Pastor und Seelsorger
Gottesdienstteam der OJC

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